Frankreich, unsere Vorurteile und sein gutes Bier.
  • Von Martin Koessler
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  • 02.06.2017
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  • Unterwegs

Unsere französischen Nachbarn sind uns Deutschen, das wissen wir, die wir seit über 25 Jahren als Deutsche in Frankreich leben, noch immer ziemlich suspekt. Es ist schon erstaunlich, wie wenig wir über unsere gallischen Nachbarn wissen. Vielleicht bestimmen deshalb so viele Vorurteile unser Bild. Da wird in steter Regelmäßigkeit den Franzosen Arroganz  uns Deutschen gegenüber unterstellt, da wird über ihren angeblichen Unwillen, andere Sprachen sprechen zu wollen, räsoniert und ihre Sprache wird ihnen als Freundschafts-Barriere schlechthin vorgeworfen. Dem Land unterstellt man in Sachen Wein zu teuer zu sein, weil man die preislich völlig abgedrehten, vom Weinhandel aber nach wie vor hofierten Regionen Burgund und Bordeaux im Kopf hat und den scheinbar unausrottbaren Fehler macht, diese zu Stellvertretern aller Winzer Frankreichs zu machen.

Unwissenheit auf allen Kanälen scheint das Verhältnis zwischen uns Deutschen und unseren französischen Nachbarn zu bestimmen.

 

Dabei scheint kaum jemand zu bemerken, wie penetrant wir Deutschen uns an »unserem« Riesling berauschen. Unsere Selbstverliebtheit geht schon soweit, daß uns kaum noch interessiert, was in Sachen Wein in unseren Nachbarländern passiert. Zumindest im deutschen Weinhandel sind wir dabei, den Anschluß an die spannende Entwicklung um uns herum zu verlieren.

Das kommt uns bekannt vor. Kennen wir das nicht schon vom Bier? Da haben wir immer gedacht, wir wären die Schönsten, Größten und Besten, hätten die längste Tradition und die besten Biere und hatten es nicht nötig, zu beachten, was die anderen um uns herum machen. Wir haben sie belächelt, die bunte Craftbeer-Bewegung, haben sie abgetan und uns so arrogant und ignorant verhalten, wie man nur sein kann. Heute spielen wir im International Brewing Award nur noch eine Nebenrolle. Zwar hat Deutsches Bier noch immer einen Namen, der aber gerät allmählich in Gefahr, weil inzwischen überall auf der Welt ausgezeichnetes Bier gebraut wird. Das gerne stolz zitierte bayrische Reinheitsgebot ist im internationalen Kontext kaum das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde, denn eine Garantie für geschmackliche Qualität ist es nicht. Vielleicht sollten wir uns selbst mal kritisch im Spiegel betrachten, um unsere Selbstgefälligkeit zu erkennen und wieder offenen Blick für das zu finden, was um uns herum stattfindet . . .

 

A propos Bier…

Wenn Sie dieses Jahr Urlaub zu machen gedenken in Frankreich, dann bemühen Sie sich mal um lokale Biere. Vielleicht spülen sich dann ein paar Ihrer Vorurteile gegenüber unseren Nachbarn im Westen bei einem guten Glas Bier runter. Gutes Bier gibt es inzwischen nämlich überall in Frankreich. Dort, wo einst Heineken und Kronenbourg mit gruseligen Industriebieren einsame Platzhirsche waren, hat sich heute ein Mikrokosmos ausgezeichneter Klein- und Kleinstbrauereien etabliert, über die hierzulande selbst in Bierkreisen nicht viel bekannt ist. Frankreich zählt irgendwie nicht bei uns, in Sachen Bier schon gar nicht. Dabei haben wir dort phantastische Biere gefunden in Regionen, in denen selbst wir sie niemals vermutet hätten. Jede größere Stadt Frankreichs hat heute zumindest ein Bierkontor, in dem man aus mehreren hundert Bieren, den einschlägigen deutschen, aber eben auch von vielen winzigen lokalen Brauereien, wählen kann. Diese Läden sind so populär, daß sich Frankreich allmählich zur Craftbeer-Nation entwickelt, weitgehend unbemerkt von uns und der internationalen Bierszene. Sollten Sie also Ihren Urlaub in Frankreich planen oder sich für die Biere unserer Nachbarn interessieren, hier ein Link zu einer Liste aller aktuellen Groß- und Kleinbrauereien, auszuwählen nach Region und Departement. Sie werden staunen!

 

 

Eine bemerkenswert gute Kleinbrauerei fanden wir kürzlich im südfranzösischen Departement Ardêche: L´Agrivoise. Eine kleine, feine Brauerei mit neun wunderbar individuellen Bieren, allesamt aus übrigens präzise deklarierten Rohstoffen gebraut, unheimlich schmackhaft, präzise im Trunk, sauber und zupackend im Charakter, frisch und druckvoll am Gaumen, das pure Vergnügen. Die Etiketten sind originell, die Namen der Biere spielen mit Worten, Klischees und Anspielungen wie z. B. das ganz oben abgebildete »Vue sur l´amer«, das »joyeusement houblonnée« ist, übersetzt »Blick auf das Bittere«, eine Anspielung auf den Film »Blick aufs Meer | Vue sur la mer«, und »fröhlich gehopft« daherkommt, ein Pale Ale mit 26 Bittereinheiten und gar köstlich herber Frische und enormer Präzision am Gaumen.

 

Frankreich hat es also nicht nur in Sachen Kulinarik in sich, sondern auch in Sachen Bier. Und was dort seit ein paar Jahren im Wein passiert, läßt aufhorchen, macht neugierig und ließ uns z. B. in den letzten Jahren Tausende von Kilometern fahren auf dem Weg zu neuen oder bewährten Winzern, stets begleitet von kultureller Gastronomie, von der wir Deutschen nur träumen können, und einem guten Bier aus französischer Kleinstproduktion nach dem vielen Wein.

 

Eines sei klargestellt:

Nur wer bereit ist, sich auf Land und Leute einzulassen, wird unsere gallischen Nachbarn mit ihren Schrulligkeiten und Eigenarten für sich zu erobern wissen. Das ist bei uns oder den Italienern aber nicht anders.

Für die Freunde guten Essens ist und bleibt Frankreich das Land der Sehnsüchte, sie sollten sich aber vor Antritt der Reise mittels Guide Michelin zumindest vorinformieren. Man kann dort genau so schlecht essen und trinken, wie bei uns, wenn man sich nicht um Adressen bemüht. Man kann dort aber zum überaus werten Preis viel besser essen und trinken als bei uns, wenn man weiß, wo man hinmuß. Das ist ein wenig Arbeit, macht sich aber allemal bezahlt. Wer das nicht kann oder will, soll sich hinterher nicht beschweren.

Weinfreunde, die bereit sind, über den Tellerrand zu schauen, um nicht auf hinlänglich bekannten Pfaden wandeln zu müssen, kommen in Frankreich mehr als irgendwo sonst in Europa auf ihre Kosten. Und das so preiswert und spannend wie in keinem anderen europäischen Land. Und daß selbst eingefleischte Bierfreunde im Land der kulinarischen Genüsse nicht mehr darben müssen, haben wir versucht hier klarzustellen. Auch sie können inzwischen aus dem Vollen schöpfen.

 

Reisen bildet, auch und gerade in Frankreich, und nichts ist dabei schöner, als über einen der unzähligen Wochenmärkte zu streunen und sich an der Lebensfreude der Franzosen, die dort so offenkundig wird wie nirgendwo sonst, zu erfreuen. Wer auf Frankreichs Wochen-Märkten kauft, kauft nicht nur billiger und besser, weil direkt vom Produzenten, als im anonymen Supermarkt, der erlebt auch die heimliche Seele der Franzosen, das Essen als sozialen Akt, praktisch und hautnah.

Hier ein (schrecklich vom Google-Automaten übersetzter) Marktkalender, unterteilt nach Departements, der die dort stattfindenden Wochenmärkte vollständig auflistet. Man lernt Frankreich und seine Bewohner nirgendwo besser kennen, als auf diesen Märkten oder in den Markthallen von Avignon, Paris, Nimes oder sonstwo. Wer mit offenen Augen, nettem Blick und einem Lächeln auf den Lippen versucht, das Land und seine Eigenarten neugierig zu erkunden, der wird die Franzosen in ihrer ganzen Individualität kennen und lieben lernen. Die alten Vorurteile landen dann endgültig auf dem Müll der Geschichte.

Mit Emmanuel Macron als Präsident wird sich das Verhältnis zwischen den Franzosen und uns Deutschen in den kommenden Jahren vermutlich grundlegend verändern. Die Herausforderungen der Zukunft können wir nur gemeinsam bestehen und dazu sollten wir verstehen, was unsere Mentalität ausmacht und wie die unserer zahlreichen Nachbarn beschaffen ist. Im Falle Frankreichs fällt sie gänzlich ganz anders aus und das sollten wir nicht nur akzeptieren, sondern zu verstehen versuchen. Mit einem guten Glas Wein in der Hand, einem der vielen Käse des Landes auf dem Baguette und der Lebensfreude unserer Nachbarn im Herzen.

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