Der besondere Reiz alter, lokal angestammter Rebsorten, die es nirgendwo sonst gibt
Man nennt sie auch »autochthon«, ein Begriff, der, wie so viele andere auch, aus dem Altgriechischen stammt und so viel wie »einheimisch, hier entstanden« bedeutet. Für uns sind autochthone Rebsorten das letzte große Abenteuer im Wein.
Seit wir uns vor über 30 Jahren mit ihnen zu beschäftigen begannen, gibt es für uns kein Entkommen mehr. Überall in Europa suchen wir nach alten, lokal angestammten, oft auch uns unbekannten, vergessenen oder vom Aussterben bedrohten, oft nur noch auf winzigen Flächen angebauten oder in alten gemischten Sätzen versteckten und dort mühsam zu identifizierenden Rebsorten. Ihr großer Reiz, der sie von den bekannten großen globalen Rebsorten grundsätzlich unterscheidet, ist ihre noch weitgehend unverzüchtet ursprüngliche Genetik.
Sie stehen damit für eine natürliche Biodiversität, die der erschreckenden genetischen Monokultur moderner, auf Hochleistung gezüchteter Rebsorten aus den Zuchtanstalten zertifizierter Rebzüchter, die heute fast alle modernen Weinberge weltweit dominiert, eine aufregend andere, durchaus ungewohnte, aber sehr viel buntere Färbung in Stil und Charakter entgegenstellen. Wir finden diese so aufregend, daß wir uns der Welt der autochthonen Rebsorten mit Haut und Haaren verschrieben haben.
Durch natürliche Mutation entstanden während ihrer Vermehrung über Samen oder Stecklinge über Jahrtausende hinweg lokal oder regional begrenzt vermutlich weit über 20.000 genetisch verschiedene Rebsorten.
Diese genetische Vielfalt fiel der 1863 zum ersten Mal in Südfrankreich nachgewiesenen Reblaus über ganz Frankreich hinweg zum Opfer. Die aus Nordamerika eingeschleppte Verwandte der Blattlaus, nach ihrem biologischen Namen auch »Phyloxera« genannt, vernichtete zwischen 1865 und 1885 in epidemieartigem Ausmaß fast 2,5 Millionen Hektar historisch wurzelechter Reb-Bestände in Frankreich. Ein unvorstellbarer Verlust an genetischer Diversität. Und das nach dem nicht minder katastrophalen, um 1850 ebenfalls aus Nordamerika eingeschleppten Mehltau. Die Folgen waren katastrophal und beschäftigen Weinbau und Winzer weltweit bis heute, denn seitdem müssen neue Reben auf der Basis amerikanischer Unterlagen, die Reblaus resistent sind, gepflanzt werden und die Mehltau-Varianten haben sich zur größten Herausforderung im Weinbau entwickelt.
In Österreich wurde die Reblaus erstmals 1874 in Klosterneuburg nachgewiesen, in deutschen Weinbaugebieten fand man sie 1874 in der Nähe von Bonn, um 1885 in Loschwitz bei Dresden, 1907 im Mosel-Saar-Ruwer-Gebiet und ab 1913 zerstörte sie die Reben im von der Sonne verwöhnten Baden.
Die Wurzelrebläuse schädigen das Leitgewebe des Reb-Wurzel-Systems. Dadurch kommt es zu Wasser- und Nährstoffmangel, was binnen weniger Jahre zum Absterben der Rebe führt. Einziges probates Mittel zum Schutz vor Befall ist bis heute das Pfropfen von Edelreisern unserer europäischen Rebsorten auf Reblaus resistente Unterlagsreben aus Amerika auf (Vitis berlandieri, Vitis cinerea, Vitis riparia, Vitis rupestris u.v.a.m.). Man »veredelt« die Rebe, wie es im Fachjargon heißt. So unterbricht man den komplizierten Fortpflanzungszyklus der Reblaus. Fast alle Reb-Bestände der Welt stehen heute auf solchen Unterlagsreben, über deren genetische und biologische Eigenschaften man die Produktivität der Rebe steuern und die Bodeneigenart (sauer oder basisch) berücksichtigen kann.
Weil das Veredeln der Reben damals in kürzester Zeit und in großen Mengen erfolgen mußte, wurden die meisten nach der Mehltau- und Reblaus-Katastrophe neu gepflanzten Weinberge fast ausschliesslich sortenrein bepflanzt.
Zuvor herrschte in vielen weniger bekannter Weinbauregionen der gemischte Satz vor, der auf biologische Diversität als natürlichem Pflanzenschutz setzte. Diese Kultur fiel der Monotonie des Glaubens an den Fortschritt zum Opfer. Die Zahl der in der Folge angebauten Rebsorten reduzierte sich drastisch. Dazu trägt die moderne Rebzucht ihren Teil bei, in dem sie vor allem kommerziell nachgefragte Rebsorten reproduziert. Deshalb dominieren heute nur noch wenige bekannte Sorten die Vorstellung von Wein. Das Wissen um den Zufall ihrer Entstehung und die Faszination der Geschichte ihrer Genetik verschwinden im Dunkel der Vergangenheit.
Deshalb ist uns die genetische, geschmackliche und sinnliche Vielfalt der ursprünglich autochthonen Rebsorten so wichtig. Sie wieder zu entdecken, ihr Überleben zu sichern, ist uns besonderes Anliegen. Vielfalt statt Einfalt. Auch im Wein.
Vielfalt statt Einfalt
Erst seit den 1990er Jahren ist eine Analyse der Genetik von Rebsorten möglich. Sie macht mittels aufwendiger DNA-Untersuchungen Aussagen über die Abstammung von Rebsorten, also deren Verwandtschaften und Elternteile, ebenso möglich, wie zu deren lokaler Herkunft.
Rebsorten werden heute in Rebschulen gezielt geklont, um sie in möglichst homogener Sortenreinheit pflanzen zu können. Der moderne Weinbau fordert die totale Reduzierung auf ein sicher vorhersagbares Weinprofil. Dadurch hat die genetische Diversität der weltweit angebauten Sorten aber dramatisch abgenommen. Statt auf die natürliche Diversität unverzüchteter Sortengenetik setzt man lieber auf spezielle Klone mit bekannten Eigenschaften im Reifeverhalten, in der Physiologie, der Traubengröße und der Verarbeitbarkeit.
Willfährige Winzer pflanzen, was der Verbraucher nachfragt. Heute Chardonnay, morgen Grauburgunder, übermorgen ..... dazu pfropfen sie einfach die jeweils modisch angesagte Rebsorte auf die vorhandene Unterlage. Kein Wunder, daß einfallslose Rebsorten-Monotonie heute die Weinberge der Welt beherrscht.
Die großen Verlierer dieser einfältigen Standardisierung im Namen des globalen Kommerzes sind die »autochthonen« Rebsorten, weil sie wenig bis gar nicht mehr bekannt und einige deshalb inzwischen sogar vom Aussterben bedroht sind.
Doch die Gegenbewegung läuft. Im handwerklichen und engagiert regenerativen Weinbau setzen Winzerinnen und Winzer zunehmend wieder auf lokale autochthone Rebsorten. Sie erweisen sich in Zeiten der Klimakrise oft als an ihre gewohnte Umgebung gut adaptiert und ihre genetische Vielfalt hilft, den Gen-Pool an Rebmaterial positiv zu erweitern.
Nichts wird heute unter informierten Winzerinnen und Winzern mehr diskutiert, als die biologische Diversität im Weinberg, von der Genetik (Massenselektionen aus eigenem Anbau etc.) über die Umgebung an Flora und Fauna und Mykorrhiza-Netzwerken im Boden, bis zum probiotischen Pflanzenschutz mit Kompost-Tees, Bakterien und Pilzen. In der biologischen Vielfalt im weitesten Sinne suchen diese Winzerinnen und Winzer eine für sie praktikable und funktionierende Antwort auf die Herausforderungen der Klimakrise im Weinbau.
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