Bio-Wein
Das Märchen von der Natur im Wein
Im konventionellen Weinbau wird der Boden chemisch »bearbeitet«. Dadurch wird er mit der Zeit abgebaut, er verdichtet und muß synthetisch gedüngt werden. Im ambitionierten Bio-Weinbau wird er durch Begrünung und schonende Bearbeitung lebendig gehalten, er wird aufgebaut und kann die Rebe mit Wasser und Nährstoffen natürlich versorgen. Im konventionellen Weinbau gilt lediglich die Empfehlung der »guten fachlichen Praxis«. Die biologische Weinproduktion wird jährlich zertifiziert und kontrolliert. Übrigens muß auch der Biowinzer spritzen. Meist sogar häufiger als sein konventioneller Kollege. Es kommen aber nur Kupfer (in geringer Menge), Schwefel, Tees und organische Präparate zum Einsatz. Systemische Mittel sind verboten. Die EU-Bio-Kellerrichtlinie regelt zwar den Einsatz von Schwefel und önologischen Zusatzstoffen, Bio-Wein schmeckt deshalb aber nicht »besser« als der Agrarindustrie-Tropfen. Dazu muß er mehr können als »nur Bio« zu sein ...

... deshalb ist uns nur »Bio« zu wenig!

Der Ursprung des biologischen Weinbaus ist nicht genau zu datieren. Als sein Wegbereiter gilt Friedrich Ludwig Stellwaag, der 1924 als wohl erster eine ganzheitliche Betrachtung des Weinbaus forderte. Als Rudolf Steiner 1925 stirbt, hinterläßt er rund 6000 Vorträge zu seiner Sicht einer alternativen Landwirtschaft, Wein ist aber seine Sache nicht. 1927 gründen Landwirte die Verwertungsgesellschaft Demeter, doch erst 1954 konstituiert sich, nach unrühmlicher NS-Vergangenheit, jener Demeter-Bund, aus dem der heutige biodynamische Weinbau hervorgeht. Doch es ist vermutlich dem 1962 erschienenen Buch »Der stumme Frühling« der amerikanischen Biologin Rachel Carson zu verdanken, daß Landwirte und Winzer auf der ganzen Welt beginnen, sich kritisch mit den Produkten und Praktiken der Agrochemie auseinanderzusetzen. Zumindest gilt ihr Buch heute als entscheidender Auslöser und Wegbereiter der modernen Umweltbewegung.

In Frankreich beginnt die biologische Bewirtschaftung von Reben schon in den 1950er Jahren. In den 1960er Jahren werden dann erste Richtlinien postuliert, die aber erst Anfang der 1980er Jahre von den sich weltweit gründenden Bioanbauverbänden in konkrete Anbauregeln und Richtlinien übernommen werden.
1991 erläßt die EU mit der EG-Öko-Verordnung 2092/91 einheitliche Vorschriften für Düngemittel und Pflanzenschutz im ökologischen Weinbau und legt Richtlinien für deren Kontrolle fest. Der biologische Anbau im Weinberg ist damit geregelt, der Ausbau im Keller, die Verarbeitung der Bio-Trauben zu Bio-Wein, aber nicht. Deshalb darf sich biologischer Wein über 20 Jahre hinweg nicht »Biowein« nennen, er muß sich als »Wein aus Trauben aus biologischem Anbau« deklarieren. Erst die 2012 völlig überraschend erlassene EU-Durchführungsverordnung 203/2012 zur biologischen Kellerwirtschaft regelt das »Bio« auch im Keller, weshalb sich Wein erst seitdem offiziell »Biowein« nennen darf.

Doch die neue Bio-Kellerrichtlinie bedient vor allem die Industrie, erlaubt sie doch zahlreiche geschmacksverändernde Zusatzstoffe aus der konventionellen Kellerwirtschaft wie den Einsatz von Holzersatzstoffen, Schönungsmitteln, Enzymen und Reinzuchthefen. Damit legitimiert sie billige »Bio-Weine«, wie sie heute die Selbstbedienungsregale der Bioläden, Supermärkte und Discounter fluten, leider immer wieder auch unter seriöser Verbands-Zertifizierung: Markenweine ohne Herkunft aber mit nettem Etikett, in anonymer Abfüllstation aus Faßweinen anonymer Herkunft zusammengeschüttet; Billig-Bio aus Großproduktion, deren Trauben mit Maschine geerntet und mittels modernster Technik schnell und ökonomisch effizient zu fruchtiger Banal-Bio-Illusion verarbeitet werden. Sie schmecken nicht nur so belanglos wie ihre agroindustriellen Gegenstücke, sie werden auch ähnlich intransparent produziert und gehandelt. Verbrauchertäuschung »Biowein«?

Der Druck seitens der Verbraucher auf Winzer und Markt ist so groß, daß immer mehr Trittbrettfahrer unter den Winzern vorgeben, »biologisch« zu arbeiten, sich unter fadenscheinigsten Begründungen aber nicht zertifizieren zu lassen. Das ist ärgerliche Winzerlüge und vorsätzliche Verbrauchertäuschung. Zumeist durch, wie unsere Erfahrung zeigt, willfährige Handlanger der Agrochemie.
Solche Irritationen parieren Anbauverbände wie Ecovin®Bioland®Naturland® oder Demeter® mit eigenen, strengeren Richtlinien. Leider erfüllen aber auch sie die Erwartungen der Verbraucher*innen an handwerklich natürlich produzierten und ethisch makellosen Biowein nicht so transparent, wie es diese von ihnen erwarten. Verbände müssen schließlich das ganze Spektrum der biologisch arbeitenden Winzerschaft repräsentieren, vom Kleinbetrieb bis zum Abfüller. »Bio« zu sein ist für sie wichtiger als geschmackliche Qualität, weil sie nahezu ausschließlich von den Beiträgen ihrer Mitglieder leben. Weil die biologische Zertifizierung nur definierte Prozessabläufe kontrolliert, nicht aber Geschmack und sensorische Qualität, ist das »Bio im Wein« deshalb nach wie vor keine Garantie für besondere geschmackliche Qualität! Ernüchternde Realität, vom Discounterregal bis zum Bioladen um die Ecke.

Nur der französische Biodynamik-Verband Biodyvin® und die italienischen Vini Veri® und VinNatur® setzen dieser Intransparenz klar formulierte Produktions- und Qualitäts-Kriterien entgegen. Sie unterziehen z. B. die Weine ihrer Mitglieder nicht nur chemischen, sondern auch sensorischen Prüfungen und versuchen so,  auch geschmackliche Ansprüche zu garantieren.

Ökologischer Anbau entläßt weniger Schadstoffe in Boden und Natur 

Er ist deshalb grundsätzlich dem konventionellen Weinbau vorzuziehen. Daß seine Böden deshalb aber »gesünder« oder lebendiger und seine Trauben »besser« als im konventionellen Anbau sind, garantiert das »Bio« nicht. »Ökologische Bewirtschaftung« bedeutet leider nicht, daß sie dem Boden mehr Aufmerksamkeit widmet als der Kellerwirtschaft. In der regenerativen Bewirtschaftung kommt es, wie im richtigen Leben, ausschließlich darauf an, was der Mensch dahinter mit seiner individuellen Philosophie und Herangehensweise daraus macht. Viele Bio- und Biodynamik-Winzer beherrschen ihr Handwerk nicht so, wie sie es sollten. Das gilt vor allem auch für Betriebe mit großen Rebflächen. Nur weil man Trauben ökologisch produziert, sind diese nicht automatisch »gesund« und so ernährt, daß sie im Keller keine korrigierenden Manipulationen benötigen. Deshalb fällt die Bio-Realität im Glas so oft so trist aus. »Biowein« schmeckt weder per se authentischer noch »besser« als konventioneller Wein, und schon gar nicht ist er »gesünder«, wie auf den Webseiten mancher Biowein-Versender noch immer zu lesen ist: Ethanol ist Zellgift. Auch wenn es biologisch produziert wird.

Aber: Im biologisch zertifizierten Weinberg werden keine synthetischen Pestizide und Düngemittel eingesetzt. Deshalb sind bei engagierten Biowinzern, mit denen wir arbeiten, die Böden begrünt und lebendig. Über Jahre bauen sie so organische Masse (Humus) auf und besonders avancierte pflanzen heute Hecken und Bäume zwischen ihre Rebzeilen, um so das Bodennahrungsnetz der Mykorrhiza-Pilze zu fördern. Diese leben nur in gesunden, lebendigen Böden. Sie können die Beeren auf natürliche Weise in komplexer Symbiose mit dem Wurzelsystem der Rebe mit jenen Nährstoffen versorgen, die für einen reibungslos spontanen Gärverlauf mittels natürlicher Umgebungshefen unerläßlich sind. Diese setzen wir vor allem für unsere Weißweine voraus, weil nur sie das »Bio« im Wein schmeckbar machen. 

Ohne lebendige Böden hat der Weinbau keine Zukunft 

Die Klimakrise hat in den letzten Jahren viele bis dahin konventionell wirtschaftende Winzer, die Wein ohne die geschmacksverändernden Zusatzstoffe der modernen Önologie produzieren wollen, zum regenerativen Anbau gebracht, weil nur er ihnen ermöglicht, die Reduktivität ihrer Trauben, Humusbildung und Bodenaufbau, Physiologie der Rebe und das Wasserspeichervermögen der Böden beeinflussen zu können. Nur lebendiger Boden bringt die Rebe in Balance. Er kann Krankheiten und Pilzbefall vorbeugen, kann über das gekonnte Zusammenspiel von Bodenleben und Rebphysiologie eine Komplexität und Individualität im Charakter der Weine erzeugen, die im konventionellen Weinbau kaum zu realisieren sind. Der kann im Keller nur reparieren, was ihm durch den Krieg gegen die Natur (vgl. Bilder rechts) im Weinberg nicht gelingt. Deshalb zitieren seine Weine in der Regel auch nur die stilistischen Klischees der Önologie, wogegen unsere Winzer nach jeder Ernte aufs Neue den Ausdruck ihrer Böden, Lagen und des Jahrgangs in ihren Weinen bestaunen.

Naturwein

Ohne die Jahrtausende alte Kultur des Weinbaus gäbe es ihn nicht, den Wein wie wir ihn kennen. Demnach ist des Winzers höchste Kunst eine autonome Rebe, die sich in Balance mit der Natur ihrer Umgebung befindet. Deren gesunde Trauben in Wein zu verwandeln bedarf keiner besonderen Technik, keiner chemischen oder physikalischen Eingriffe, sehr wohl aber kompetenter Kontrolle und respektvoller Beobachtung. »Natur-Wein«, wie wir ihn verstehen.
Stattdessen setzt man uns immer wieder jene »Opfer der Natur« vor, die unangenehm »mäuseln«, Essigstich oder Brettanomyces-Befall aufweisen, wegen biogener Amine Kopfweh verursachen oder wegen zu hoher Acetaldehyd-Gehalte sogar gesundheitlich bedenklich sind.
Die Naturwein-Bewegung hat enorm Positives bewirkt. Sie hat überkommene Fehler-Vorstellungen aufgebrochen, entlarvt konventionellen Wein als lebloses Klischee und hat Wein aufregend neu definiert. Das war wegweisend! Schade, daß sie jetzt unseriöse Trittbrettfahrer und ideologisch verblendete Missionare ohne Kompetenz und Toleranz immer wieder angreifbar machen. Die Natur im Wein kann und darf nicht nur über den Schwefel definiert werden. Wenn »Naturwein« nicht biologisch zertifiziert ist und nicht mehr zu bieten hat, als die egalisierend »natürliche« Machart, also weder Ursprungscharakter noch Identität besitzt, finden wir ihn so ärgerlich wie Marken-Wein. Ohne seine uralte Kultur macht die Natur im Wein keinen Sinn.