
Seitdem prägen vor allem die berühmten Süßweine aus Tokaj die Vorstellungen von ungarischem Wein
Tatsächlich war Tokajer nach den künstlich gesüßten Weinen der Antike der erste echte große Süßwein der Weingeschichte. Im 13. Jahrhundert wird der Weinbau in Tokaj erstmals schriftlich erwähnt, im 15. Jahrhundert erstmals über die Weinherstellung dort berichtet. Im Jahr 1571 wird zum ersten Mal ein edelsüßer Aszú-Wein urkundlich erwähnt, wobei bis heute nicht geklärt ist, wie es zur Entdeckung der Edelfäule und ihres Einflusses auf den Wein kam. Immerhin gibt es im Jahr 1630 eine erste Beschreibung der Herstellung eines Aszú.
Bis zur Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts trinken die Reichen und Schönen der Welt dann edelsüßen Tokajer. Er wird weltweit exportiert und genießt als »König der Weine und Wein der Könige« weltweites Renommee. Die besten Weinberge Tokajs zählten damals zu den wertvollsten Besitzungen in Ungarn. Sie waren weitgehend im Besitz des Adels und wurden 1730 in der weltweit ersten Klassifikation von Weinlagen entsprechend einer dreistufigen Qualitätshierarchie bewertet. So sorgten die Weine aus Tokaj im 18. und 19. Jahrhundert für mächtigen Wohlstand in der heute ärmsten Weinbauregion Ungarns.
Mit der Reblaus-Epidemie Ende des 19. Jahrhunderts kam der Weinbau auch in Tokaj fast zum Erliegen. Es folgte eine Krise nach der anderen, während derer man sogar den Weinbau zugunsten des damals ertragreicheren Obstbaus aufgeben wollte. Während der 40jährigen kommunistischen Herrschaft (1948 – 1988) wurde der ungarische Weinbau schließlich rücksichtslos mechanisiert und industrialisiert.
Jene Rebflächen, die mechanisierbar waren, wurden in ganz Ungarn enteignet und auf Massenproduktion umgestellt. Nur Lagen und Steilhänge, die mit Maschinen nicht zu bewirtschaften waren, blieben vom russischen Kahlschlag verschont. Es sind diese Lagen, auf denen heute die besten Weine des Landes entstehen.
Weil auch in der kommunistischen Ära süße Tokajer wichtige Devisenbringer waren, forcierte der Staat ihre Produktion. Ihre Qualität war entsprechend dürftig, doch noch heute bestimmen sie die Vorstellungen vieler Menschen vom ungarischen Wein: Billig und süß.
Seit 2010 dominieren unter Orbans Herrschaft staatliche Weingüter das Angebot ungarischer Weine auf den Exportmärkten. Sie gehören über verschachtelte Eigentums-Konstrukte meist ihm, so manchen dieser Betriebe ließ er über seine Schergen zwangsverstaatlichen. Ein paar spanische Weingüter und französische Luxuskonzerne haben sich in Tokaj eingekauft und versuchen den einstigen großen Ruf der Region zu mehren, doch können auch ihre Weine kaum mit den Spitzenweinen aus privater ungarischer Produktion mithalten.
Trotz großer Vergangenheit startet Ungarns Wein also (fast) wieder bei Null. Die wenigen Weingüter, die heute auf internationalem Niveau mitspielen können, sind Neugründungen aus den Jahren nach 1990. Ihre Weine stammen fast ausschließlich von jenen historischen Spitzenlagen, die von der russischen Mechanisierung verschont blieben. Sie sind oft nur wenige Hektar klein, doch prophezeien wir genau ihnen eine vielversprechende Zukunft in der Nische des handwerklichen Weines.


Was uns begeistert
Ungarn ist ein noch junges, unerfahrenes Weinland. Folglich dominiert pflegeleichter Kommerz den boomenden Markt im eigenen Land. Möglichst »fruchtig« müssen die Weißweine sein, weshalb Sauvignon Blanc angesagt ist, dick, fett, säurearm und weich müssen die Rotweine schmecken, weshalb Cabernet und Merlot die Renner sind. Die übliche »moderne« Monokultur.
Dagegen haben es unsere ungarischen Winzer auf dem eigenen Markt schwer. Ihre Weine entstehen aus historisch angestammten, autochthonen Rebsorten, sind mutig unbeleckt vom »Fortschritt« der Weinbereitung, agieren frei von zeitgeistigen Stilvorgaben. Unberührt von stilistischen Klischees machen sie die Morphologie ihrer vielfältigen Böden schmeckbar und interpretieren ihre vermeintlich minderwertigen Rebsorten auf höchst anspruchsvollem Niveau. Die selbstbewußte Freiheit im Denken unserer ungarischen Winzerinnen und Winzer, ihre Absage an Trends und Moden, an hohe Erträge und teure Kellertechnik, ihr bewußtes praktizieren lokaler Traditionen (wie bei Szent Donat links im Bild mit historischer Einzelstockerziehung in Dichtpflanzung) und ihr Weitblick, die regenerative Bewirtschaftung als Voraussetzung ihrer Vorstellung von Qualität zu sehen, sind so wegweisend wie überzeugend. Sie sind damit ihrer Zeit weit voraus.
Was uns erstaunt
Der ungarische Wein ist stolz auf seine lange Geschichte und seine großen Traditionen. Doch außerhalb Ungarns kräht danach kein Hahn.
Den Weg weist einmal mehr Tokaj, zeigt man sich dort doch bereit, Jahrhunderte alte Traditionen zugunsten marktgerechterer Nomenklatur infrage zu stellen. So hat man kürzlich das einst so berühmte System der Bütten, der Puttonyos, im weltberühmten edelsüßen Tokajer abgeschafft, setzt dafür auf die edelsüße Spitze, den Aszú, hat dem Szamorodni, der bisher nur in Ungarn Bedeutung hatte, neues Qualitätsprofil verliehen und mit dem »Late Harvest«, der Spätlese, eine bislang nicht existierende Kategorie an Süßwein neu geschaffen. So will man der weltweiten Süßwein-Krise begegnen, die allen Süßweinregionen der Welt zu schaffen macht. Man gibt dort also eine über Generationen gewachsene Tradition, die für Tokaj stand wie keine andere, auf, ohne die Qualitätskriterien aufzuweichen, um dem Markt, der nicht mehr bereit ist, sich mit lokalen Traditionen zu beschäftigen, den Zugang zu den Weinen zu erleichtern. Daß man dies offen und mit allen Zweifeln und Fragen unter Winzern und Verbänden diskutiert, um es der Öffentlichkeit dann auch so offen zu kommunizieren, erstaunt uns und nötigt uns Respekt ab.
Rechts im Bild edelfaule, rosinierte Furmint-Beeren, die für einen Aszú einzeln von Hand ausgelesen werden müssen.


Was uns zu denken gibt - über Ungarn hinaus
Unter allen Süßweinen der Welt, ist Tokaj einmalig. Große edelsüße Chenin Blanc von der Loire oder auch ein paar edelsüße deutsche Rieslinge mögen auf ähnlichem Niveau spielen. Doch diese magische Harmonie von Süße und Säure, von Potenz und Leichtigkeit, von Frische und Dichte im Mundgefühl schafft kein anderer Süßwein so überzeugend, so eigenständig, so umwerfend ausbalanciert, wie großer edelsüßer Furmint aus Tokaj. Ein Szamorodni oder ein großer Aszú gehören zum Feinsten, was Süße im Wein als Wunder der Natur hervorbringen kann.
Dieser großen Kunst der Süße im Wein droht nun ausgerechnet in Tokaj unbekannte Veränderung durch die Klimakrise. Dort gären und reifen die großen Süßweine seit Jahrhunderten in uralten, tief unter der Erde liegenden Kellern, wie man sie links im Bild sieht. Tokaj ist berühmt für seine Keller. Doch auch dort trocknen die Böden großflächig aus, der Grundwasserspiegel sinkt und so steigen selbst in diesen Kellern allmählich die Temperaturen. Es sind nur 1-2 Grad bisher, die aber führen bereits zu einer bakteriellen Verseuchung der Kelleratmosphäre, wie neueste wissenschaftliche Untersuchungen ergaben. Es sind komplexe Konsequenzen, die die Klimakrise verursacht. An Pilze, Viren und Bakterien denkt man dabei nicht. Doch genau sie sind es, die noch große Probleme verursachen werden. Offensichtlich reichen schon winzige Temperaturunterschiede, um sie zu aktivieren. Im Fall von Tokaj kann man diese Veränderung in den Bakterienkulturen der Kelleratmosphäre, aber bereits auch im Wein messen. Die Konsequenz: Man räumt die Keller, baut dauergekühlte isolierte Gebäude, um die Weine in kontrollierter Atmosphäre ausbauen und reifen zu können. Welchen Einfluß dieses aus CO2-Bilanz-Sicht völlig unsinnige Vorgehen auf die Weine haben wird, ist noch nicht abzusehen. Aber man spricht offen darüber und kommuniziert es, um auf die Problematik aufmerksam zu machen - und macht so praktisch begreifbar, welch komplexe Konsequenzen unser unseliges Tun hat.
Sanzon | Tokaj
Erika Rász macht in stilistisch einzigartigen, brillant laserstrahlartig fokussierten, knochentrockenen wie edelsüßen Tokajern die dünne Erdauflage, auf der ihre Reben auf harten vulkanischen Rhyolith-Böden stehen, glasklar nachvollziehbar. Ihr Hárslevelü ist eine Referenz in Tokaj, ihre Furmints strotzen vor rassiger Strahlkraft und schlanker, präziser vulkanischer Expressivität.
Barta Pince | Tokaj
Vivien Ujvari ist die sensible Weinmacherin auf Barta Pince, einem Weingut mit Grand Cru-Status in Tokaj. Es verfügt mit den Lagen Öreg Király-dűlő und Kővágő über die historisch besten Weinberge der Region. Sie bringen echte Gänsehaut-Weine hervor, die durch tiefgründigere Böden auf vulkanischem Basalt Kraft und Fülle mit rassiger Präzision zu verbinden wissen. Eine Burgund-Alternative.
Szent Donat | Csopak
Tamás Kovács ist noch jung, aber wir kennen nicht viele Winzer, die sich so intensiv wie er mit Böden und deren Morphologie beschäftigt haben. Er macht daraus auf seinen diversen Lagen und Böden am Plattensee (Balaton) ein faszinierend nachvollziehbares Geschmackskonzept, in dem er seine Weine bestimmten Böden und deren idealen Rebsorten zuordnet. Er folgt dabei der Naturweinbewegung, aber mit klarem Konzept.
Valibor | Badacsony
Peter Vali ist ein Tausendsassa. Schon im Alter von zehn Jahren träumt er vom eigenen Restaurant mit eigenem Weinbau. Den Traum hat er in einem kleinen Paradies am Plattensee verwirklicht. Sein Restaurant ist Legende, seine Weine so schillernd wie er, er vermietet Zimmer, betreibt eine Vinothek, sein Weinbau ist Demeter zertifiziert und seine Weine gehören zu den besten der Region. Wir lieben seinen Kéknyelü.
Gilvesy | Balaton
Robert Gilvesy ist Kanadier mit ungarischen Wurzeln. Seine Eltern wanderten damals aus, den Kontakt zu seiner Heimat hat er aber nie verloren. Heute betreibt er mit seiner Frau, einer Französin, das Weingut am erloschenen Vulkan Szent György-hegy, dem heiligen St. Georgs-Berg. Es produziert, biologisch zertifiziert, spannend vulkanisch geprägte Weine zwischen ungarischer Tradition und heutigem Zeitgeist.
Heimann & Fiai | Szekszárd
Zoltán Heimann Jr. hat keinen leichten Stand im Weingut der Familie. Sein Vater zählt zu den renommiertesten Winzern des Landes. Der Sohn kehrt nach Stationen auf der ganzen Welt zurück, der Vater-Sohn-Konflikt beginnt. Doch der Junior setzt sich durch, die Umstellung auf biologischen Anbau ist absolviert und schon erobert er mit seinen wunderbaren Kadarkas und Kekfrankos die Herzen unserer Kunden.
Wassmann | Villány
Wie kommen Ralf Waßmann und Susann Hanauer als Deutsche dazu, in Ungarn Winzer zu werden? Ganz einfach: Sie kaufen 1998 im Weinbaugebiet Villány einen alten Hof in der typischen Bauform der Donauschwaben. Dazu gibts eine mit Mandel- und Pfirsichbäumen durchsetzte Südhangparzelle mit Chardonnay und Olaszrizling, daneben eine mit Portugieser (Hugh Johnson schrieb damals, daß der beste Portugieser der Welt aus Villány käme). Heute sind die beiden überzeugte Biodynamiker und produzieren einige der besten Rotweine Ungarns in leider nur homöopathischer Dosierung.
Bussay Pince | Zala
Dr. Dori Bussay ist vielbeschäftigte Hausärztin, aber auch Winzerin aus Leidenschaft in Zala, einer winzigen Weinbauregion im äußersten Westen Ungarns, direkt an der Grenze zu Kroatien und Slowenien. Das Weinmachen hat sie von ihrem Vater gelernt, der ebenfalls Arzt war und eine bekannte Persönlichkeit in der Region. Ohne ihn gäbe es in Zala keinen Weinbau mehr. Dieses Erbe verteidigt Dori Bussay mit Power und Leidenschaft und konzentriert sich dabei auf die Lieblingsrebsorte ihres Vaters, den noblen, aber sehr empfindlichen roten Csókaszőlő, für den sie wie niemand sonst steht.
Somloi Vandor | Nagy-Somló
Tamás Kis ist der Quereinsteiger unter unseren ungarischen Winzern. Kein Weinberg, geschweige denn ein Weingut in der Familie. Start bei Null. Er kommt zum Wein, wie auf den Vulkan von Somlo, in dem er seiner Leidenschaft folgt, dem Weinbau. Heute ist er einer der meistbeachteten Winzer des Landes. Seine Reben stehen auf vielen kleinen Parzellen an den Hängen des erloschenen Vulkans. Basalt, auf dem ein Sand-Ton-Sediment mit etwas Kreide liegt. Diese Herkunft interpretiert er in den alten lokalen Rebsorten der Region in faszinierend großen Weißweinen magisch rasanter Ausstrahlung.
Filep | Tokaj
Gergö Filep, hier mit seinem Vater, einem bekannten Geologen, ist ein selten kompromißloser Winzer, wir kennen nicht viele, die in Sachen Weinchemie ähnlich kompetent sind. Er versucht sie schon im Weinberg so zu beeinflussen, daß er seine Weine so nackig und direkt wie möglich als echte Naturweine auf Flasche bringen kann. Dazu verzichtet er im Keller auf Zusatzstoffe und »Korrekturen« (außer einer minimalen Schwefelung bei der Abfüllung) für faszinierend charaktervolle Weiß- und Rotweine, die entweder spontan berühren, oder prompten Widerspruch ernten. Unsere persönliche Referenz für das, was wir als Naturwein bezeichnen würden - Wein, wie er immer sein sollte. Ein rarer Glücksfall.