
Vielfalt statt Einfalt - der gemischte Satz
Einfache Antworten auf komplexe Fragen mögen bequem sein, im richtigen Leben erweisen sie sich meist als das, was sie sind: zu einfach. Für den Weinbau gilt dies exemplarisch. Allerdings machen wir uns kaum Gedanken darüber, worum es geht, wenn wir von »gutem Wein« sprechen. Daß er Ihnen »gut« schmeckt, sagt nichts darüber aus, ob er auch qualitativ hochwertig ist. Dazu muß ein Wein abseits der persönlichen subjektiven Wahrnehmung vielfältige Kriterien erfüllen, die über das rein geschmäcklerische Empfinden weit hinausgehen. Über sie wird nach wie vor wenig geschrieben und gesprochen. Nur ein Beispiel von vielen:
Vor der Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts legte man in ganz Europa Weingärten oft im gemischten Satz an. Dazu pflanzte man viele (bis zu 20 und mehr) verschiedene Rebsorten bunt durcheinander. Deren genetische Vielfalt der damals noch wurzelechten, also nicht auf eine amerikanische Unterlage aufgepfropften Reben (die noch nicht so auf Ertrag gezüchtet waren wie jene Massenträger, die unsere modernen Monokultur-Rebwüsten dominieren), sorgte für natürlichen Widerstand gegen Krankheits- und Schädlings-Befall, was die Winzerinnen und Winzern damals vor Ernteausfällen bewahrte und ihnen einigermaßen gleichmäßige Mengen bescherte.
Weil Rebsorten sehr unterschiedliche Reifezeitpunkte aufweisen, die Trauben im gemischten Satz aber zum gleichen Zeitpunkt geerntet werden (die spätreifenden Sorten leicht unterreif, andere reif, frühreifende Sorten vollreif), sorgen die zum Zeitpunkt der Lese unterschiedlichen Säuregehalte in den Beeren nicht nur für Spannung und Frische im Mundgefühl, sondern zugleich auch für geschmeidige Reife und Fülle. Der sich ergebende pH-Wert entscheidet über Haltbarkeit und mikrobiologische Stabilität des fertigen Weines. Gewußt wie. Erfahrungswissen.
Der Wein eines solch bunt gemischten Reb-Satzes schmeckt naturgemäß jedes Jahr anders. Je nach Jahresverlauf trägt die eine Sorte mehr, die andere weniger, sind die Reifezustände schwankend und unterschiedlich, fühlt sich eine Sorte wohler, eine andere ist ein Ausfall, immer sind aber ein gewisser Ertrag und entsprechende Qualität garantiert, weil die Vielfalt der Natur den Mangel durch Einfalt ausgleicht. Sie steckt in jener modernen, konventionell bewirtschafteten Massenreb-
haltungs-»Kultur«, deren Reben einheitlicher Genetik entstammen, die auf bestimmte Eigenschaften (meist Ertrag) gezüchtet wurde. Sie stehen dort in engem Abstand in einfältiger Monotonie. Keine Hecken, keine Bäume, und das auf durch Spritzmittel und Dünger malträtierten »sauberen« Böden, die weder die Mykorrhiza-Wurzelpilze noch die Vielfalt an Fauna und Pilzen jener gesunden, lebendigen Böden besitzen, die vor der Erfindung des Kunstdüngers durch Justus von Liebig im 19. Jahrhundert das vorindustrielle Zeitalter in der Landwirtschaft prägten. Damals waren die Erträge zwar deutlich niedriger, dafür die Weine aber so hochwertig und charaktervoll individuell, daß man bereit war, höhere Preise für sie zu bezahlen als heute, wo der meiste Wein fast ausschließlich über den Preis verkauft wird.
Diese Einfalt des »Fortschritts« muß in der konventionellen Reb-Bewirtschaftung mit den Zusatzstoffen der modernen Kellerwirtschaft marktgängig gemacht werden. »Technologieoffenheit« heißt das in der Einfalt des Polit-Jargons. Die Vielfalt der Natur könnte es besser, man müßte sie nur lassen.
Der Beweis: Unsere Weine aus dem »gemischten Satz«. Wir suchen nach ihnen auf der ganzen Welt. Man findet sie in Regionen, wo man noch sinnvolle Traditionen pflegt und sich deren Erfahrungswissens bewußt ist, bei Produzenten, die ihre alten Reb-Methusalems hegen und pflegen, und bei wagemutig visionären Winzerinnen und Winzern, die ihre Parzellen wieder bewußt in bunter genetischer und biologischer Vielfalt pflanzen. Viele sind es nicht, denn der Aufwand ist immens, die Weine nicht billig, der Markt für sie deshalb winzig. Doch es gibt sie. Wir stellen Ihnen hier ein paar spannende Weine aus gemischtem Satz vor.
Ein historischer Ursprung des Gemischten Satzes ist nicht bekannt. Die Methode, verschiedene Rebsorten im Weingarten gemischt zu pflanzen, war vermutlich über Jahrhunderte hinweg üblich. Wenn es denn überhaupt schon ein Bewusstsein für konkrete Rebsorten gab, weil die gezielte Vermehrung von Rebsorten lange nicht bekannt war. Man vermehrte sie zunächst mittels der Samen in den Beeren, was zu eigenständigen Sorten führte. Erst die Vermehrung per Steckling führte zu einem Bewusstsein für konkrete Eigenschaften bestimmter Rebsorten. Die Sorte spielte damals aber nur insofern eine Rolle, als sie vor allem frostfest sein mußte und möglichst ertragssicher.
Der Rebsorten-Kult, wie wir ihn heute kennen, begann in Europa erst mit dem 18. Jahrhundert. Die Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts und die kurz darauf ebenfalls aus Amerika mit Reben, die als Unterlage zur Bekämpfung der Reblaus dienen sollten, eingeführte Peronospora (der falsche Mehltau) zerstörten nicht nur einen unwiderbringlich vielfältigen Pool an historischer Reb-Genetik, sondern auch eine Vielfalt an lokalen Rebsorten, für die wir heute viel gäben. Was wir heute an Genetik in unseren modernen Weinbergen stehen haben, ist nicht nur gefährlich uniform, sondern auch schlecht, weil nicht auf Qualität, sondern auf Ertrag gezüchtet.
Darüber wird wenig gesprochen. Unter engagierten Winzern aber ist das Thema Genetik ein heißes. Viele auch unserer Winzer pflanzen gezielt biodiversere Massenselektionen (»Selection massale«) aus entsprechend guter, meist alter Genetik, die sie sich oft mühsam zusammensuchen müssen (Siehe »Laroque d´Antan«). Sie hoffen so, den grassierenden Rebkrankheiten, die schon Tausende von Hektar Rebland vernichtet haben, wenn schon nicht zu entkommen, so doch wenigstens Paroli bieten zu können. So sorgen seit vielen Jahren die sogenannte »Goldgelbe Vergilbung« (Flavescence dorée), die Schwarzholzkrankheit (Bois noir), sowie die Pilzerkrankung ESCA für enorme Schäden im Weinbau. Sie scheinen sich mit dem Anstieg der Temperatur durch die Klimakrise immer schneller immer weiter zu verbreiten und bedrohen den Weinbau inzwischen substantiell.
Der moderne Weinbau hat sich verrannt. Der Wachstumswahn seiner Winzer, die schlechte Genetik, seine Monokultur und sein Ertragsdenken, sowie jahrzehntelange Agrochemie-Bewirtschaftung zeitigen Folgen. Schon in wenigen Jahren wird auf vielen Flächen, auf denen heute noch konventionell gewirtschaftet wird, Weinbau nicht mehr möglich sein. Schon jetzt steigen die Preise (ähnlich denen der Lebensmittel), weil durch die Klimakrise mit ihrer Hitze und der Trockenheit in den Böden die Erträge sinken, die Reben krankheitsanfälliger werden, Trockenschäden mit ihrer Bitterkeit die Weinqualität beeinträchtigen, die Beeren kleiner werden, die Schalen dicker, die Saftausbeute geringer. Deshalb rufen so viele konventionell wirtschaftende Betriebe nach Bewässerung. Sie brauchen Menge, um ihre niedrigen Preise halten zu können. Sie haben ihre Kunden nicht erzogen, sondern ihre Weine immer nur nach dem Schnabel und den Preisvorstellungen ihrer Kunden gemacht, nie aber versucht, den Wert hinter einer guten Flasche Wein zu kommunizieren. Sie sind gefangen in ihrem eigenen Preisdikat, aus dem sie kaum herauskommen. Es droht eine riesige Pleitewelle unter den Winzern Europas.
Die Preise für Rebland fallen bereits drastisch. In Frankreich werden über 10% der gesamten Rebfläche gerodet. In Australien, Chile und Kalifornien geht die Angst um und es wird ebenfalls in großem Stil gerodet, auch, weil die Nachfrage selbst nach den schweineteuren »Spitzenweinen« massiv eingebrochen ist. Kein Wunder: Viel zu viele Weine, egal ob billig oder teuer, schmecken uniform, vorhersehbar und austauschbar. Zudem ist das Angebot so groß, daß die Qual der Wahl längst Kaufentscheidungen verhindert. Da greift man lieber zu anderen alkoholhaltigen Wirkungsgetränken, die einfacheres Vergnügen versprechen. Diese historische Krise des Weines ist selbstverschuldet und sie war vorherzusehen.
Der Wein von morgen wird zum einen noch mehr industrialisiert werden und endgültig zum getränketechnologischen Erzeugnis verkommen, zum anderen wird er hochindividuell und charaktervoll sein wie die Weine hier aus dem »Gemischten Satz«, geprägt von lebendigen Böden, spontaner Vergärung, konsequentem Verzicht auf geschmackliche Manipulationen und er wird sich immer mehr lokal angestammten autochthonen Rebsorten widmen.