Zinfandel = Primitivo ...

... aber ganz anders. Man kann die beiden kaum vergleichen. Zinfandel riecht und schmeckt nicht nur anders, er wird auch anders geerntet und anders interpretiert

Zinfandel. Kaliforniens große eigene alte Rebsorte? 

Ihre Geschichte in Amerika war lange unklar. So soll angeblich um 1825 ein Rebschulenbetreiber namens George Gibbs aus Long Island verschiedene Rebsorten aus der Gegend um Wien in die USA importiert haben. Es gibt Quellen, die vermuten, daß darunter auch Zierfandler aus Gumpoldskirchen war, der irrtümlich einem anderen Paket als Zinfandel zugeordnet wurde. Die Sage geht, daß so sein Name entstand... 

... oder: Ein Morris L. West will wissen, daß Oberst Agoston Haraszthy aus Ungarn die Rebsorte in die USA brachte ... viele Theorien, viele Vermutungen, Genaues weiß man nicht. Fest steht lediglich, daß Zinfandel, bevor er nach Kalifornien kam, als Tafeltraube angebaut wurde und bereits 1919 zu den fünf wichtigsten Rebsorten der USA gehörte, die übrigens auch während der Prohibition sehr beliebt war.

Als ab 1960 in Kalifornien allmählich ernsthafter Weinbau entstand, fing man an, sich auch für den europäischen Ursprung des Zinfandel zu interessieren. So fiel einem amerikanischen Pflanzenpathologen bei einer Italienreise die Rebsorte Primitivo auf, die er nach Kalifornien brachte, um sie dort direkt mit dem heimischen Zinfandel zu vergleichen. Aufgrund ihrer morphologischen Ähnlichkeit vermutete er prompt schon damals, daß die beiden Sorten verwandt sein  müßten oder gar identisch sind. 

Der finale Beweis seiner Vermutung gelang erst 1999, als Carole Meredith, Professorin für Önologie an der Universität in Davis, die genetische Identität der beiden Rebsorten mittels DNA-Analyse zweifelsfrei beweisen konnte. Trotzdem blieb die Frage offen, wo der gemeinsame Ursprung beider Rebsorten liegen könnte. Deshalb folgten Meredith und ihre Mitarbeiter Hinweisen aus Italien, die einen Ursprung der Rebsorte in Kroatien vermuteten. Sie fanden ihn tatsächlich Ende 2001 in der Sorte Crljenak, einem Kreuzungspartner des berühmten kroatischen Plavda Mali, der auf dem Balkan schon sehr lange zu Hause ist, vermutlich auf eine alte griechische Rebsorte zurückgeht und beachtliche Rotweine hervorbringt, die bis heute aber kaum bekannt sind.

Vermutlich wären die vielen alten Zinfandel-Reben im Zuge des Chardonnay- und Cabernet-Booms, der in den 1980er Jahren Kalifornien heimsuchte, längst gerodet, wäre da nicht der Boom des »White Zinfandel« in den 1970er und 1980er Jahren dazwischengekommen. Dieses kaum als Wein zu bezeichnende, manchmal sprudelnde, oft amerikanisch süßlich ausgefallene »weinhaltige Getränk« wurde so populär, daß die Nachfrage danach die Preise für Zinfandel-Trauben in die Höhe trieb. Warum für dieses traurige Gesöff ausgerechnet Zinfandel herhalten mußte, ist ungeklärt. Jede andere Rebsorte hätte es auch getan. So aber bekamen die alten Rebstöcke die Chance, die Ignoranz des »Fortschritts« im Weinbau zu überleben. Vermutlich ganz einfach auch deshalb, weil der exotisch klingende Name »Zinfandel« die Menschen über alle Sprachgrenzen hinweg anzusprechen schien. Immerhin fielen so Amerikas historische Reben nicht der Vergessenheit durch Rodung anheim.


Die großen Zinfandels Kaliforniens stammen ausnahmslos von ursprünglich alten Rebstöcken, die vor 60, 80, 100 und mehr Jahren gepflanzt worden waren. Ihr hohes Alter sorgt für einmalige Komplexität in Aroma, Struktur und Mundgefühl. Das liegt auch und vor allem an den niedrigen Erträgen der tiefwurzelnden, von Beginn an ohne Bewässerung bewirtschafteten Reb-Methusalems. Deren Ausstrahlung und Größe ist weniger in technischen Parametern zu beschreiben, als mit ungeschminkter Individualität, radikaler Originalität und unverwechelbarem Herkunftscharakter. Ein Versprechen, das keine andere rote Rebsorte der Welt so überzeugend einzulösen vermag, wie Zinfandel von alten Reben. 

Dabei gilt die Rebsorte unter Ampelographen und Rebzüchtern als minderwertig. Zinfandel/Primitivo kann nämlich je nach Jahrgang extrem ungleichmäßig ausreifen. Innerhalb einer Traube findet man dann neben völlig unreifen Beeren auch reife und sogar übereife. Werden solche Trauben, wie in Italien, ohne Auslese der Beeren geerntet, fällt der Wein in Stil und Charakter jedes Jahr grundsätzlich anders aus, weshalb Primitivo heute so oft durch Konzentratzusatz mit Restsüße geschminkt und aufgepäppelt wird. In Kalifornien dagegen gehen die Mexikaner je nach Jahrgang mehrfach durch die Rebzeilen und ernten jede einzelne Beere entsprechend ihres Reifezustands. Ein Wahnsinnsaufwand, der das hohe qualitative Niveau der Weine dort ebenso erklärt, wie deren Preis.

Zinfandel widerspricht also völlig der modernen Napa-Bordeaux-Lehre. Diese setzt auf möglichst uniforme Reifehomogenität der Trauben, die sie heute oft durch lichtoptische Selektion nach Größe, Gewicht und Reifezustand erzielt. Ergebnis sind Rotweine wie aus einem Guß, denen jede Individualität und Originalität, jede Kante oder Kratzer abgehen. Zinfandel präsentiert sich dem Pflücker dgagegen provozierend nach dem Motto: »make something of me if you can«

Zinfandel-Winzer sind in Anbetracht niedriger Erträge und zickigen Reifeverhaltens also ganz schön gefordert. Die Trauben ihrer alten Reben haben mehr mit dem zu tun, was die Winzer in Bordeaux vor 1959 ernteten, als das, was heute von den homogen reifenden Niedrig-Säure-Hoch-Extrakt-Turbo-Klonen aus den Weinbergen des Napa Valley oder modernen Bordeaux in die Kelter kommt (Schön, daß es so widerspenstige Rebsorten abseits der Norm noch gibt).

Man mag heute die glatte, gediegene Oberfläche eines Cabernets aus dem Napa Valley der wilden, fast schon ungezügelten Frucht im urwüchsigen Charakter eines Zinfandels von historischen Reben vorziehen. Die Frage der Wahl ist aber keine der Qualität, sondern ausschließlich eine von Stil und Charakter - cheers!

Oben im Bild eine uralte Zinfandel-Rebe im »Marians Vineyard« im kalifornischen Central Valley, gepflanzt in den 1870er Jahren (© K&U).

Zehn exemplarische Beispiele

Nicht immer reinsortig Zinfandel, weil man die Rebsorte früher, wie bei uns auch, im gemischten Satz mit zahlreichen anderen roten und weißen Sorten pflanzte. 
Solche historischen Weinberge gibt es in Kalifornien noch. Fast alle der Weine unten stammen von solch alten Rebgärten, die übrigens oft noch Rebsorten enthalten, 
die bei uns in Europa durch die Reblauskatastrophe Ende des 19. Jahrhunderts längst ausgestorben sind.


»The whole Shebang« 14th Red Cuvée, Bedrock Wine Company     14,90 €

Der Geschmeidige. Morgan Twain Peterson keltert diesen Gaumenschmeichler aus Trauben seines legendären Bedrock Vineyards von 1888, die er für nicht gut genug erachtet, um sie in seiner berühmten »Bedrock Heritage Cuvée« verwenden zu können. Zusätzlich verschneidet er im Solera-Verfahren, ganz wie man das früher gemacht hat, nicht nur verschiedene Jahrgänge miteinander, sondern auch diverse Rebsorten, vor allem Zinfandel und uralte Carignan, ergänzt durch Petite Sirah, Mourvèdre, Alicante Bouschet, Grenache, Syrah und Barbera. Allesamt aus den ältesten, heute noch produzierenden Weingärten der Welt! Nicht umsonst einer der beliebtesten Rotweine in unserem Sortiment: Samtig mundfüllend, weich und wohltuend fruchtbeladen im dichten Schmelz der niedrigen Erträge historisch alter Rebstöcke. Ein Wein-Wunder. 

2019 »Bambino« Zinfandel Field Blend, Bucklin Old Hill Ranch         28,00 €

Der Echte. Will Bucklin ist ein verschrobener Bio-Winzer im Sonoma Valley, der Trauben seiner legendären »Old Hill Ranch« an einige der renommiertesten Winzer in Kalifornien verkauft, die daraus einige der teuersten und gesuchtesten Zinfandels produzieren. Seine eigenen Weine sind dagegen kaum bekannt. Hier sein kleiner gemischter Satz auf der Basis von Zinfandel, wie früher zwischengepflanzt mit anderen historischen weißen und roten Rebsorten. Dunkle, transparente Farbe. Balsamischer Duft nach dunkler Kirsche, Himbeere, Kakao, Pfeffer, Piment und Vanille. Exotisch. Berauschend. Vollmundig üppig, breit und warm, durchzogen von frischer Säure - da melden sich die Rebsorten im gemischten Satz, die weniger reif gelesen wurden als andere. Eindrucksvoll echt und ungeschminkt dieser Naturwein aus biodynamischem Anbau.

2020 Zinfandel »Old Vine« Sonoma Valley, Bedrock Wine Company   29,00 €

Der Würzige. Mehr Zinfandel fürs Geld geht kaum. Ein Blend aus den ältesten Weinbergen Kaliforniens. Alte, vergessene Reben als kulturelle Tradition eines Landes, das keine Traditionen hat. 85% Zinfandel verschmelzen hier mit Mataro (= Mourvèdre), Grenache, Alicante Bouschet, Carignan, Petite Sirah und anderen alten Sorten aus traditionellem Mischsatz zu einem hinreißend floral duftenden Rotwein, der dunkel transparent im Glas steht und wunderschön dicht und seidig die Zunge benetzt. Rote Beeren treffen auf exotisch süßliche Gewürze, den Duft sommerlicher Kräuter, kühlen Tabak und edles Gehölz. Kraftvoll harmonisch in mundfüllender Gerbstoffopulenz scheint dieser anspruchsvollen Trinkfluß auslösende dicht gepackte Rotwein den Mund regelrecht zu fluten. Dagegen hat apulischer Primitivo nicht die Spur einer Chance.

2020 Zinfandel »County Line« Russian River, Radio Coteau      34,00 € 

Der Raffinierte. Biowinzer Eric Sussman produziert seinen »kleinen« Zinfandel aus biologisch angebauten Trauben, die er von befreundeten Winzern aus dem kühlen Russian River Valley in Sonoma bekommt. Kraftvoll und intensiv fruchtbeladen, erfrischende Säure in potent kräuterwürziger Komplexität. Im Duft die Würze von Muskatnuss, reifer Brombeere und Erdbeere und darüber der exotische Hauch von blumigem Earl Grey Tee. Am Gaumen opulent fruchtig, aber auch erdig würzig, also angenehm kühl wirkend. Trinkbar sofort, weil, typisch Radio Coteau, höchst raffiniert in der Gerbstoffqualität. Die macht ihm so schnell keiner nach. Trotz aller Raffinesse aber mit Tiefgang und Vielschichtigkeit beladen, die zu nachdenklichem Genuss animieren. Schmeckt garantiert auch jenen, die Primitivo nicht mögen.

2019 Zinfandel Old Vine Estate »Dry Creek Valley«, Nalle Winery    39,00 € 

Der Feinste von allen. Doug Nalle (gesprochen Noll) und sein Sohn Andrew produzieren den vielleicht feinsten und sinnlichsten aller Zinfandels - ihr »Dry Creek Valley Old Vine«-Zinfandel ist eine Institution in Kalifornien. Alte wurzelechte Reben hochdiverser Genetik auf eisenhaltigem, stark von Kies durchsetztem Schwemmland bringen einen fast schon sinnlich feinen Wein hervor, der eher an Burgund erinnert, als an Kalifornien. Durchaus warm im Charakter und auch nicht zimperlich im Alkohol, versteht es Familie Nalle ihre Trauben aber so schonend zu extrahieren, daß deren Gerbstoffe wie Kaschmir wirken im Mundgefühl. Feinsinnig und feinmaschig, edel und irgendwie leicht wirkend, trotzdem aber kraftvoll und dicht im Griff auf der Zunge, nur eben nicht schwer, nicht dick, nicht breit, sondern schwebend und sinnlich zart in der Wirkung. 

2019 Zinfandel Estate »Limerick Lane«, Limerick Lane      39,00 €

Der Edle. Der große Ruf der Weine von »Limerick Lane« im kühlen Russian River Valley beruht auf 1910 gepflanzten Buschreben, die dem kleinen Weingut im Besitz von Jake Bilbro einen der großen Zinfandels Kaliforniens bescheren. Er stotzt vor warmer mundfüllender Dichte und potenter Kraftentfaltung. Es ist ein wuchtig dimensionierter Wein, der expressive Aromatik mit tiefgründig reifem Charakter verschmilzt. Der biologisch bewirtschaftete und nicht bewässerte gemischte Satz tiefwurzelnder alter Zinfandel-, Peloursin-, Négrette-, Syrah-, Petite Sirah- und Carignan-Reben sorgt für Spannung, Kraft und Energie im Mundgefühl. Als würden sich die alten Reben in dem so wilden wie aromatisch mysteriösen Bukett Gehör verschaffen wollen; jedenfalls sind sie es, die die Weine von Limerick Lane in Stil und Charakter unverwechselbar machen. Ein Kraftprotz mit Sentiment. 

2018 Zinfandel »Chiles Canyon Vineyards«, Green & Red         33,00 €

Das Monster. Tobin Heminway, eine der wenigen Frauen im Zinfandel-Business, produziert Zinfandel, der zu den konzentriertesten und eindrücklichsten gehört, die wir kennen. Er stammt von verschiedenen Parzellen ihres versteckt liegenden Betriebs im Osten des Napa Valley, der kühlsten Region dort. Das kühle Klima, die lange Hängezeit der Trauben und karge Böden sorgen für kleine, dickschalig konzentrierte Beeren, die den unverwechselbar dichten Stil von Green & Red prägen. Aromatisch  rote und blaue Früchte in Gewürzen des Orients. In den Gerbstoffen satt und dicht, aber samtig und trotz des potenten Muskelspiels weich wie Wildseide. Im Mund irre kompakt und konzentriert, opulent saftig und vor Kraft nur so strotzend. Hoch im Alkohol, aber erstaunlich kühl wirkend. Ein sattes Maul von Wein. Das kann so nur Green & Red. 

2019 Bedrock Vineyard »Heritage 132st Vintage« Sonoma       49,00 €

Der Historische. Trinkbare Geschichte. Ein uralter, zwischen 1888 und 1895 bepflanzter Weinberg, der aus neunzehn verschiedenen, zwischengepflanzten Rebsorten besteht. Einer der ältesten, noch produzierenden Weinberge der Welt. 55 % Zinfandel,  30 % uralte Carignan, den Rest tragen alte Sorten bei, die es z. T. in Europa nicht mehr gibt. Die 132. Ernte dieses Weinbergs in Folge. Unglaublich! Ein spektakulär schöner Wein: Dunkel und intensiv in der Farbe, berauschend im Duft; schwarze Johannisbeere, getrocknete Kräuter der Provence, schwarzer Pfeffer, Kirsche und dunkle Früchte im Bukett. Unaufdringlich tiefgründig und kühl im Charakter. Faszinierend samtige Konzentration, wie sie nur alte Reben liefern. Kraftvoll und breit im Mundgefühl, kühl und frisch im Trunk und mit eindrucksvoll dichter Tanninkonsistenz gesegnet. Weltklasse.

2018 Zinfandel »Lemorel« Sonoma Coast, Radio Coteau           58,00 €

Der Grosse. Der nördlichste und im Charakter kühlste Zinfandel Kaliforniens. Alte, um 1946 gepflanzte Buschreben im Westen des Sonoma County, unweit des Pazifik. Deshalb präsentiert sich »Lemorel« so raffiniert kühl und tiefgründig frisch, so gediegen und vornehm wie guter Bordeaux, der es aber endlich mal krachen lassen kann. Exotisch würzig füllt er den Mund mit raffiniert dicht verwobener Gerbstoffsubstanz, wie sie nur in Kalifornien entstehen kann. Da trifft Shetlandwolle auf Kaschmir. Zimt, Vanille, Gewürznelken und Leder, Wacholderbeeren, frische Minze und Tabak im Duft. Warme Kraft agiert im Mund, greift zu, entfaltet sich kühl und raffiniert raumgreifend, ohne heiß oder überreif zu wirken. »Lemorel« verspricht Größe im Wein abseits gängiger Önologen-Klischees. Eigenart, Charakter, Ausstrahlung und rare Originalität. 

2019 »Ancient Field Blend«, Bucklins Old Hill Ranch, Sonoma     39,00 €

Der Alte. 1885 wurde der »Ancient Block« der Old Hill Ranch im kalifornischen Sonoma gepflanzt. 30 verschiedene Rebsorten stehen dort bunt gemischt nebeneinander. Will Bucklin erntet und vergärt sie gemeinsam. 30 Rebsorten, 5 Hektar Reben, 1 Wein. Das ist Will Bucklins legendäres »Ancient Field Blend«. Hauptsächlich Zinfandel, aber auch Grenache, Alicante Bouchet, Petite Sirah, Mourvedre, Syrah, Carignan und Tempranillo, um nur einige zu nennen. Transparente karminrote Farbe. Atemberaubender Duft nach roten und schwarzen Früchten, Wildkräutern, Gewürzen. Kraftvolle 15,3 Vol.%. rauschen in ultrareifen Gerbstoffen ungeschminkt ehrlich über die Zunge, weich, geschmeidig, fast cremig in der Konsistenz, dann transportiert frische Säure die Pracht gelassen weiter. Ein aus der Zeit gefallener, total unmodischer Brummer für Freunde von Konzentration und mordsmäßiger Kraft im Wein. Amarone-Fans werden jubeln. So schmeckt Geschichte im Wein.