Chenin Blanc. Eine der großen Weißweinrebsorten der Welt. Doch leider scheint sie mit der deutschen Vorstellung von Weingeschmack nicht kompatibel zu sein. Weine aus Chenin Blanc sind so ziemlich das letzte, was man dem deutschen Durchschnittstrinker verkaufen kann. Dafür scheint Chenin Blanc die Inkarnation des französischen Gout national zu sein: Die Loire, von dort kommen die besten Chenins Blancs der Welt, exportiert, anders als alle andere Regionen Frankreichs, die den Großteil ihrer Weinproduktion ins Ausland verkaufen, nur rund 10 % ihrer Produktion, der Rest wird tatsächlich in Frankreich getrunken.
Chenin Blanc reagiert unmittelbar auf Bodenformation und Klima. Keine andere weiße Rebsorte reagiert mit ihrem Zuckergehalt so direkt auf Jahrgangsschwankungen, wie sie. Ihre ungewöhnlich dicke Beerenschale schimmelt schnell, weshalb sie in entsprechenden Jahrgängen perfekte Edelfäule produziert, in kleinen Jahrgängen schimmelt sie dagegen sofort ohne zu reifen (Graufäule). Ist die Säure in der Traube zu hoch, der Zuckergehalt zu niedrig, schimmelt sie. Steht die Säure in Balance mit dem Zucker, kann sie Botrytis produzieren, die zu sensationell balancierten Weinen führen kann, vorausgesetzt, man bringt die entsprechende Geduld zur aufwendigen Lese Traube für Traube, Beere für Beere, auf. Je höher der Befall an Edelfäule, um so mehr steigt der Säurespiegel mit der Reife. Man erntet also zu Beginn der Lese sehr süße Weine, die aber ein wenig plump sind; mit zunehmendem Grad des Botrytisbefalls aber steigt auch die Säure und die Balance von Süße und Säure wird auf faszinierende Weise immer harmonischer. Das ist es, was edelsüße Chenin Blancs einzigartig macht.
Doch auch der Charakter trocken ausgebauter Chenin-Blanc-Weine fällt je nach Jahrgang prägnant unterschiedlich aus. Mal dominiert straffe, fast spitz wirkende Säure, die einige Jahre Zeit braucht zur Harmonisierung; mal begeistert knochentrockene Chenin Blanc mit cremig dichter, seidiger Struktur, die perfekt fokussiert und salzig mineralisch über die Zunge geht, wie es keine andere weiße Rebsorte ähnlich stringent und eigenwillig vermag. Im Laufe ihrer Entwicklung kann trockene Chenin Blanc auch den größten Kenner verunsichern; da riecht sie mal nach nassen Wollsocken im Winter, mal wirkt sie regelrecht ‚faulig’ und muffig im Duft, um wenige Monate später aromatisch zu brillieren, daß es eine Freude ist. Im Stadium der Reife duftet hochwertige Chenin Blanc schließlich komplex nach gelben Gewürzen wie Safran, Kurkuma oder Kardamom und betört mit orientalischer Aromenpracht, die nur Könner und Kenner zu interpretieren und zu schätzen wissen. Eine so zickige wie faszinierend eigenwillige große weiße Rebsorte, die ob ihrer störrischen Eigenart leider zu wenig Beachtung findet hierzulande.