Aglianico ist eine noch immer viel zu wenig bekannte dickschalige rote Rebsorte aus dem Süden Italiens, die das Potential hat, eine der feinsten Italiens zu sein. Sie wird vor allem in Kampanien und der Basilikata angebaut. Um ihren Ursprung ranken sich allerlei Hypothesen und Gerüchte. Tatsache ist, daß sie wohl aus Süditalien stammt, wo sie auf den vulkanischen Böden rund um Potenza und Matera in der Basilikata, sowie um Benevento und Avellino in Kampanien, auf 200 bis 600m Höhe über dem Meer in kühler, aber trockener und sonniger Exposition zu bemerkenswerter Hochform aufläuft. Ihre dicken Beerenschalen liefern dunkle, konzentrierte, gerbstoffbeladene Rotweine. Um diese Gerbstoffe ausreifen zu können, braucht die früh austreibende Rebsorte eine lange Hänge- und Reifezeit am Rebstock, die ihr die klimatischen Verhältnisse und die Höhenlage in der Basilikata und in Kampanien garantieren. Die vulkanischen Böden sorgen für eine mystisch dunkle, rauchige, steinige Aromatik, in der man oft auch Schokolade und reife Pflaume widerfindet. Eine tiefdunkle rubinrote Farbe, ein dunkelwürzig komplexes Bukett, in dem man neben frischen Tabakblättern und herbstlichem Rauch auch die Gerbstoffe riechen zu können meint, zeichnen einen guten Aglianco aus. Um die von kraftvoll präsenten Gerbstoffen geprägte samtig dichte Geschmacksfülle zu harmonisieren und in die Struktur der Weine zu integrieren, vergären die besten Winzer ihre Moste in oben offenen Gärständern und bauen anschließend die Weine in kleinen oder großen Holzfässern über viele Jahre auf der Feinhefe aus.
In der Vergangenheit gerieten viele Aglianicos mächtig konzentriert, rustikal von übermäßiger Extraktion in herb austrocknenden Gerbstoffen geprägt. Der Zeitgeist der Parker-Ära wollte es so. Seit ein paar Jahren beschäftigt sich eine neue Winzergeneration mit der Rebsorte, extrahiert sehr viel bewußter und schonender, und prompt verändert sich der Charakter der Weine zu zwar noch immer kraftvoller Konzentration und Struktur, doch wirken die Gerbstoffe jetzt bei aller Präsenz feiner und im besten Fall sogar animierend samtig, dicht und fein, also nicht mehr so rüde dominant und brachial rustikal wie noch vor wenigen Jahren. Ein weltweiter Trend, den die Fans der Tannin-Monster bedauern mögen, er reflektiert den wahren Charakter vieler Rebsorten aber sehr viel authentischer und macht deren Weine lustvoller und angenehmer trink- und entdeckbar.
Ein Aglianico del Vulture aus der einzigen DOC der Basilikata oder ein Taurasi aus einer der wenigen DOCGs Süditaliens können es mit jeder Sangiovese aus der Toskana und jedem Nebbiolo aus dem Piemont aufnehmen. Sie beeindrucken durch ureigenen, unschwer zu identifizierenden Charakter, der von den vulkanischen Böden nachhaltig geprägt wird, und sie besitzen geradezu legendäres Reife- und Entwicklungdspotential; manche Winzer bringen ihre großen Aglianicos erst nach vier, fünf oder gar sechs Jahren Faßreife auf die Flasche, wo sie sich dann über Jahrzehnte weiter entfalten. Die gerbstoffbeladene Geschmacksfülle der Weine neuer Generation wirkt so kraftvoll wie mundfüllend samtig, und so benötigt ein guter Aglianico del Vulture oder ein Taurasi DOCG noch immer einige Jahre Zeit auf der Flasche, um seine geschmackliche und aromatische Qualität entfalten zu können. Doch beweisen die besten Winzer der Basilikata und Kampaniens inzwischen, daß ihre Weine auch jung schon zu den beeindruckendsten und wertvollsten Italiens gehören. Aglianico hat sich gewandelt. Er ist bereit für die Zukunft.