Aufsäuerung (Ansäuern)


Durch Trockenheit und langwährende Hitzeperioden während der Vegetationsperiode, die aufgrund der Auswirkungen der Klimakrise immer häufiger auftreten, kommt es in den Beeren häufig zu einem (linear verlaufenden) Verlust an Säure, was sich in hohen pH-Werten der Moste bzw. Weine ausdrückt, die sich ungünstig auf die Mikrobiologie und damit auf die Stabilität, Haltbarkeit und Entwicklungsfähigkeit des späteren Weines auswirken. Solche Weine schmecken weich, breit und fad und ihre fehlende Säure fördert Weinfehler und schnellen Verderb.

Entscheidend für den Säuregehalt des späteren Weins ist also der Lesezeitpunkt; d.h. wann die Trauben geerntet werden. Je früher die Lese, desto höher die Säure und desto niedriger damit der pH-Wert. Allerdings ist die Säure nicht der einzige Parameter, der den Lesezeitpunkt beeinflußt. Die Beeren müssen vor allem physiologisch, also aromatisch und von der Zellstruktur her reif sein, d.h. es kommt neben dem Säuregehalt auch auf das Mostgewicht (Zuckergehalt), die Reife der Phenole, der Tannine und weiterer Inhaltsstoffe an. All diese Parameter werden von den Auswirkungen der Klimakrise beeinflußt, so daß  die Bestimmung des optimalen Lesezeitpunktes zum vielleicht wichtigsten und herausforderndsten Qualitätskriterium im Weinbau mit Anspruch geworden ist.

Dessen ist sich die moderne Önologie bewußt und so hat sie dafür ein paar Tricks auf Lager. Im konventionellen Weinbau dürfen physikalische Verfahren wie der Kationenaustausch oder die Elektrodialyse für die Säuerung (auch Azidifikation genannt) von Most und Wein zum Einsatz kommen, aber natürlich säuert man dort auch nach wie vor mit Wein-, Äpfel- Milch- und Zitronensäure auf, die alle zugelassen sind. Dabei darf im Most die Gesamtsäure mit Wein-, Milch- und Äpfelsäure um 2,5 g/l und im Wein um 1,5 g/l (kumulativ) erhöht werden. Zitronensäure darf einen Endgehalt von 1,0 g/l nicht übersteigen. Da all diese Säuren, bezogen auf 1 g/l Gesamtsäure, gleich sauer schmecken und aromatisch neutral sind, können sie eigentlich untereinander ausgetauscht werden. Allerdings hat der Zusatz von Weinsäure (Tartarin) den stärksten Einfluß auf den pH-Wert; setzt man 1 g/l zu, sinkt der  pH-Wert um ca. 0,15. 
Bio-Weinen dürfen Wein-, Äpfel-, oder Milchsäure zur Aufsäuerung zugesetzt werden. Da dadurch der pH-Wert sinkt, wird der Wein zwar mikrobiologisch stabiler, jedoch wird durch den höheren Weinsäureanteil auch das Risiko von Weinsteinausfall erhöht, der zumindest in preiswerten Konsumweinen unerwünscht ist (obwohl er chemisch reversibel ist, sich die kleinen Kalium- und Kalzium-Tartrat-Kristalle also wieder auflösen und verschwinden können). Bei Verwendung von Milchsäure ist der Effekt der Säuerung geringer, man spart sich aber das Risiko des Weinsteinausfalls.

In vielen klimatisch warmen Ländern ist die Säuerung generell erlaubt und wird dort auch standardmäßig praktiziert (z. B. in Übersee wie Südafrika, Australien oder Kalifornien). Engagierte Bio- und Biodynamikwinzer*innen versuchen natürlich ohne auszukommen, was ihnen durch entsprechende Weinbergsarbeit auch meistens gelingt. Alleine die Umstellung von konventioneller auf regenerative Bewirtschaftung senkt den pH-Wert signifikant. Wenn man dann noch durch entsprechende Begrünung das Wasserspeichervermögen im Boden verbessert und durch natürliche Ertragsbalance früher ernten kann, bei gleicher aromatischer Reife, steht dem Verzicht auf die Aufsäuerung nichts im Weg. Gewußt wie.

In Deutschland wird die Aufsäuerung für das jeweilige Weinjahr offiziell angekündigt und zugelassen, sofern Jahresverlauf und Klima sie nötig erscheinen lassen. Weinbaubetriebe sind dann verpflichtet, eventuelle Säuerungen zu dokumentieren und zu melden.

Geübte Verkoster können Aufsäuerung übrigens fühlen und schmecken. Man kann sie an den hinteren Zungenrändern als nicht in Wirkung und Substanz des Weines integrierte, pikant griffig agierende Säurespuren erfühlen.
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