Grauburgunder scheint eine sehr geschmeidige Rebsorte zu sein. Unsere Väter und Großväter schätzten ihn halbtrocken; mild, reif und schlabberweich genossen sie ihn als Ruländer des Sonntags Nachmittags zur Zigarre auf der Fernseh-Couch. Diesem Ruländer verdanken wir das angestaubte Image der Rebsorte. Danach sorgte er als Pinot Grigio beim In-Publikum in Kneipe, Club und Szenelokal für omnipräsente Urlaubsstimmung, die ihn ob der größer werdenden Nachfrage schließlich zum alkoholhaltigen Wirkungsgetränk verkommen ließ. Dem Pinot Grigio verdanken wir nichts! Heute feiert er als Grauburgunder den Wiedereinstand in die Oberliga der Weißweinszene mit Frische, Saft und Kraft in rauchig elegantem, rassig trockenem Neo-Design.
Grauburgunder scheint eine recht alte Rebsorte zu sein, die im frühen Mittelalter in Burgund erstmals Erwähnung fand. Mönche brachten die Rebe im 14. Jahrhundert aus dem Burgund über die Champagne nach Deutschland und Österreich. In einem aufgelassenen Weinberg soll sie im Jahr 1711 von einem Kaufmann aus Speyer namens Johann Seger Ruland gefunden worden sein. Er soll die Qualität der Sorte erkannt haben und für die weitere Verbreitung gesorgt haben, so die Saga, was ihm die Weinwelt mit dem Synonym Ruländer gedankt zu haben scheint. Neue Analysen zeigen, daß Grauburgunder, der nur auf knapp 3.5 % der bundesdeutschen Rebfläche steht, eine Mutation des Spätburgunders aus der Burgunderfamilie ist. In Frankreich und Australien wurde er früher als Tokay-Pinot Gris angebaut; heute, nach einer Klage ungarischer Winzer aus Tokaj, nennt er sich dort jetzt Pinot Gris, in Deutschland und Österreich gibt es ihn als Grauburgunder, in Italien heißt er noch immer Pinot Grigio und im Wallis kennt man ihn als Malvoisie. Synonyme gibt es reichlich, wie es sich für eine so alte Rebsorte geziemt.
Grauburgunder liefert säurearme, aber körper- und extraktreiche Weißweine mit seiner Lesereife entsprechendem Alkoholgehalt. Seinen Namen verdankt er der Farbe seiner Trauben, die im Stadium der Reife leicht blaurote Färbung mit einem Stich ins Graue aufweisen. Als Wein entwickelt er goldgelbe Farbe im Glas, je nach Lesezeitpunkt, Reife und Ausbau mehr oder weniger intensiv in der Gelbtönung, und er verbreitet den Duft frisch aufgeschnittener, reifer Äpfel mit einem charakteristischen Hauch herbstlicher Rauchnoten.
Nach dem reifen, müden Stil der sechziger bis achtziger Jahre und dem zeitgemäß uniformen Primärfrucht-Touch der Neunziger Italo-Jahre macht Grauburgunder nun auf frisch und rassig, auf trinkfreudig und ernsthaft seriös mit regional geprägtem Rebsorten- und Herkunftscharakter, und sorgt so für willkommene Abwechslung im Riesling-Rausch der Jetztzeit.