Wer ein solch ambitioniertes Liebhaber-Projekt wie die Tenuta di Castellaro konzipiert und von Grund auf realisiert, muß nicht nur wohlhabend sein, sondern auch ziemlich verrückt. Oder beseelt von Leidenschaft.
Massimo Lentsch und Stefania Frattolillo, Unternehmer aus Bergamo, machen 2005 Urlaub auf den äolischen Inseln. Während eines frühmorgendlichen Spaziergangs in der Piana di Castellaro auf Lipari genießen sie die gute Luft der Insel, den Blick aufs Meer und die Nachbarinseln. Sie kommen ins Philosophieren und beschließen am Ende ihres Spazierganges, ihrem stressigen Leben im Norden einen neuen Sinn im Süden zu geben.
Der ist zum Lebens-Projekt geworden als 2000 Quadratmeter großes Weingut, das sie dem Ziel widmen, die Landschaft und die Natur der Insel mit Kunst, Architektur und neuen, sowie alten, bewährten Technologien so ökologisch wie möglich in Einklang zu bringen. Um die Natur und die Menschen vor Ort in ihren Traditionen zu respektieren, bewirtschaften sie ihren Betrieb vom ersten Tag an regenerativ; sie lassen die unverzüchtete historische Genetik der alten angestammten Rebsorten der Insel per Massenselektion vermehren und pflanzen damit ihre Weingärten in hoher Dichte und wurzelecht in der alten, traditionellen Form des Alberello, der Buschrebe. Sie sind nur aufwendig von Hand zu bewirtschaften und liefern nur niedrige Erträge, sind aber an das extreme Inselklima mit seiner harten Sonneneinstrahlung und Hitze im Sommer und den oft hart blasenden Wind bestens adaptiert.
Heute arbeiten Massimo Lentsch und Stefania Frattilillo mit einem engagierten Team daran, ihr ehrgeiziges Projekt zielstrebig weiterzuentwickeln. Die mannigfaltigen Herausforderungen der Klimakrise wollen auch auf Lipari gemeistert werden.
Das Duo Frattolillo-Lentsch denkt und handelt von Beginn an visionär. Sein Weingut soll drei wesentliche Kriterien erfüllen: Es soll sich in Natur und Umgebung einfügen, die natürlichen Ressourcen seiner Umgebung maximal nutzen und die Bautraditionen und Geschichte der Insel respektieren.
Lipari ist vor allem Sonne und Wind: Ressourcen, die die beiden mittels Solarkaminen und einem Windturm nutzen.
Die Sonnenkamine wurden schon von den Persern erfunden und von den Römern in der Antike genutzt; sie fangen das Licht der Sonne auf natürliche Weise ein und geben es so an ihre Umgebung ab, daß künstliche Beleuchtung nur nachts nötig ist. Windtürme (Badghir auf Persisch) wurden schon im alten Mesopotamien im 10. Jahrhundert v. Chr. genutzt. Sie bestehen aus einem thermischen Labyrinth, das Windenergie für eine natürliche Klimaanlage nutzt, die kühlt und Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant hält. So wird der Fasskeller auf Castellaro natürlich gekühlt und mit Luftfeuchtigkeit versorgt.
Der unter die Erde verlegte, weitgehend CO2-neutrale Faßkeller der Tenuta wurde in einer Bautechnik errichtet, die bis dahin einzigartig war. Dazu wurde die Form der Säulen und des Gewölbes des Faßkellers direkt in den Boden modelliert. Diese »Negativ-Formen« wurden mit Beton ausgegossen, nach 28 Tagen Trocknung wurde dann der Boden um diese mit Beton ausgegossenen Formen herum ausgehoben, es entstand das heutige Kellergewölbe, dessen Textur der Oberflächen und die Farben seiner Säulen die Geschichte des umgebenden Bodens und dessen vulkanischer Vergangenheit erzählen. Ein energetisch wie architektonisch spektakulär konzipiertes Bauwerk, das alleine schon eine Reise wert ist.
Handarbeit
Die Buscherziehung, in Frankreich »Gobelet«, in Italien »Alberello« genannt, ist ein Erziehungssystem für schwach wachsende Reben in niederschlagsarmen Weinbaugebieten. Sie ist eine der ältesten Reberziehungsarten, die schon die Griechen in der Antike für den Weinbau nutzten.
Hier im Bild eine nicht minder alte Abwandlung der Buscherziehung, die sogenannte Pfahl- oder Stockkultur, wie sie auch auf Castellaro steht. Sie wird in hoher Dichte (ca. 7000 Stöcke pro Hektar) gepflanzt, wodurch sich ein enger Reihenabstand ergibt. Diese Reben können nur per Handarbeit bewirtschaftet werden, was eine Verdichtung der Böden verhindert. Jede einzelne Rebe wird als Individuum behandelt, der Weinberg bildet die Gemeinschaft.
Auf Castellaro pflegt man die sogenannte »Quinconce«-Pflanzung: Jede Rebe steht an der Spitze eines gleichseitigen Dreiecks mit einem Abstand von 1,20 Metern, so daß alle Reben den identischen Einflüssen auf 360° ausgesetzt ist. Dadurch entwickelt jede einzelne Rebe in Konkurrenz mit der Nachbarrebe ein Wurzelsystem, das sie über entsprechende Mykorrhiza-Pilze nicht nur mit Feuchtigkeit, sondern vor allem auch mit den Mineralien und Nährstoffen der fruchtbaren vulkanischen Böden versorgt. So entsteht die schmeck- und fühlbar salzige Mineralität vor allem der weißen Castellaro-Weine.
Die Kritik an der Busch- und Pfahl-Erziehung, daß die Trauben durch den engen Abstand weniger Sonnenlicht erhalten, die Stöcke schlechter durchlüftet werden und so erhöhter Krankheitsbefall droht, entkräftet man auf Castellaro durch die Dreieckspflanzung. Es geht hier nicht um mechanische »Effizienz« und möglichst hohe Erträge, es geht hier um autonome Reben, die gesunde Trauben produzieren.
Tradition
Es gibt kaum einen mißbrauchteren Begriff im Wein als Tradition. Jeder Winzer der Welt beruft sich auf irgendeine Tradition, ohne zu benennen, in welcher Zeit, in welcher Denkungsart, in welchem Geist er innerhalb dieser Begrifflichkeit denkt und handelt. So wurde (zumindest für uns) der Begriff zur hohlen Worthülse mit negativer Konnotation.
Auf der Tenuta di Castellaro werden viele echte Insel-Traditionen gepflegt und lebendig gehalten, z. B. die des süßen »Malvasia di Lipari«. Eines Süßweines, der einst großen Ruf genoss; heute tut sich Süßwein weltweit schwer und verkümmert, egal wo auf der Welt, zur lokalen Spezialität, die oft nur noch aus Liebhaberei gepflegt wird.
Dabei ist der Aufwand für die natürliche Süße groß. Er wird von Castellaro noch im Sinne alter Insel-Tradition praktiziert. Dazu läßt man spät gelesene Trauben der Sorte »Malvasia di Lipari« gezielt zu Rosinen verdunsten, in dem man nach sorgfältiger Handlese die besten Trauben fünfzehn Tage lang in speziellen flachen Wannen, die auf mobilen Strukturen liegen, der Sonne aussetzt.
Der dunkle Lavasand, auf dem die Trauben trocknen, speichert die Wärme tagsüber, die er nachts wieder abgibt, wo man die Trauben dann mit schwerem Tuch abdeckt, um die Wärme auch nachts zu nutzen, aber auch, um die Trauben vor Tau zu schützen.
Ergebnis ist ein betörend süßer, unverwechselbar cremig dicht schmeckender Süßwein, der nach reifem gelbem Pfirsich duftet, nach reifem Exotenobst und kandierten Früchten. Trotz seiner potenten Süße schmeckt er animierend frisch. Er hält offen über Monate im Kühlschrank, begleitet cremige und fruchtige Patisserie und Desserts in seltener Perfektion und ist einfach zu schade, Vergessenheit und Ignoranz anheim zu fallen. Wir bieten ihn im Winterhalbjahr an.
Corinto Nero & Malvasia
Damit ein Wein auf natürliche Weise »gut« schmeckt, müssen enorm viele Details bedacht und realisiert werden. Heute steht z. B. das Pflanzmaterial, die Genetik der Reben, bei engagierten Winzerinnen und Winzern im Mittelpunkt der Diskussion. Sie setzen auf genetische Vielfalt, statt auf die Einfalt des homogenen Klons mit bestimmter Eigenschaft.
Auf Castellaro hat man dazu einen der renommiertesten französischen Rebzüchter gebeten, die historische Genetik der alten autochthonen Insel-Rebsorten zu evaluieren, um daraus geeignete Reiser per Massenselektion zu vermehren.
Ein Prozess der Jahre dauert. Er liefert Qualitätsreben, bei denen nicht der Ertrag im Vordergrund steht, sondern die Adaption an die Umgebung und hochwertige Trauben- und Saftqualität. Die Corinto Nero- und Malvasia-Reben auf Castellaro stammen aus Massenselektionen und wurden, siehe Bild, in traditioneller Busch- und Pfahlerziehung gepflanzt.
Böden & Klima
Böden und Klima auf Lipari bieten optimale Bedingungen für den regenerativen Anbau.
Das Klima ist gemäßigt, Wind bläst beständig und das Meer sorgt für Luftfeuchtigkeit, die in den heißen Wochen des Jahres die Reben vor Trockenstress bewahrt. Auf der Piana di Castellaro sorgen zudem starke Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht, im Zusammenspiel mit der Höhenlage der Reben (350 m über dem Meer), für jenes feine Säurespiel, das den Weinen Spannung und Frische, aromatische Intensität und dichte Substanz verleiht.
Die vulkanischen Böden, verdichtete Asche mit Lehm und Ton und sandig verwitterter Bimsstein, sind fruchtbar, speichern Feuchtigkeit und sind reich an mineralischen Verbindungen, allen voran Phosphor, Kalium, Eisen, Magnesium und Kalzium. Sie sind für Wachstum und Gesundheit der Reben wichtig, beeinflussen die Extraktion während der Weinbereitung und liefern die Mineralität der Weine.
Keller & Wein
In das Weingut sind schon im Vorfeld enorm viele Gedanken, Ideen und Visionen seitens seiner Gründer eingeflossen, stecken wissenschaftliche Erkenntnisse und die Ergebnisse intensiver Gespräche mit alteingesessenen Weinbauern und Landwirten.
Die Kunst der Kellerwirtschaft ist es, diese Anstrengungen und Ideen in Weine zu übersetzen, die Profil, Eigenart und Charakter wagen - statt wieder nur marktgängige Klischees zu zitieren, die so viele Weine reicher Besitzer, die teure Önologen engagieren können, so uninteressant machen.
Auf Castellero glückt, was aufwendig geplant war. Jeder Wein hat Profil, wagt Charakter, riecht anders, fühlt sich im Mund selbstbewußt an. Respektvolle Weinbereitung mit schonender Verarbeitung, spontaner Gärung, langem Hefelager in Edelstahl, Fässern oder Cocciopesto-Amphoren. Keine zeitgeistig trendigen Naturweine, sondern professionell feinfühlig realisierte Charaktere einzigartiger Herkunft.
Inhalt: 0.75 l (29,20 €* / 1 l)
Inhalt: 0.75 l (51,87 €* / 1 l)