Weinberg
Des Vaters Erbe tritt Simone beherzt an. Er setzte schon damals auf die vielfältigen Sorten der Burgunderfamilie, weil sie auf den vom Kalk dominierten Ingelheimer Böden besonders gut gedeihen. Bestätigt sah er sich in der Tatsache, daß schon Karl der Große vor rund 1100 Jahren die Ingelheimer Böden und Lagen ideal für den Anbau der Pinot-Familie hielt und dazu Pflanzmaterial aus Burgund an den Rhein schickte. Auch Viognier, die große weiße Rebsorte der Nordrhône, interessierte ihn. Deren säurearme, aromatisch expressive Exotik übersetzt Simone heute auf den basischen Böden Ingelheims in unerwartete Komplexität und Ausstrahlung. Noch bewirtschaftet sie ihre Reben konventionell.
Dann lernt sie auf unserer Hausmesse den Biodynamiker Saverio Petrilli von der Tenuta Valgiano in Lucca kennen. Beeindruckt von seinen Erfahrungen beschließt sie, auf biodynamische Wirtschaftsweise umzustellen. Sie geht das Projekt Schritt für Schritt an, stellt nicht gleich den ganzen Betrieb um, sondern beginnt mit dem Boden und paßt kontinuierlich jeden einzelnen Bewirtschaftungsprozess dem großen Ziel an. So beginnt sie alles anders zu machen, als sie es an der Uni gelernt und gelehrt hat.
Keller
Wenn Simone Adams von ihrer Arbeit spricht, geht es stets um Fortschritte im Weinberg und ihre Entwicklung hin zur überzeugten Biodynamik-Winzerin. Begeistert erzählt sie über ihre Beobachtungen draußen im Weinberg und was sie dadurch neu oder anders zu verstehen beginnt. Sie nutzt ihr wissenschaftliches Wissen, sieht vieles darin aber kritisch und hat mit dieser Vergangenheit abgeschlossen.
Oben im Bild ihr Keller kurz nach dem Neubau. Heute stehen dort sehr viel mehr große Holzfässer. Doch anders als manche ihrer Berufskolleginnen und Kollegen verliert Simone über ihre Arbeit im Keller nicht viele Worte. Dabei macht sie dort vieles bewußt anders. Ihre großen Lagen-Pinot Noirs zum Beispiel vergären und extrahieren durchgängig als ganze Traube mit Stielgerüst (Ganztraubenvergärung). Nach stets spontaner Gärung reifen sie in neuen und gebrauchten Barriques bzw. großen Fässern auf der Feinhefe, wenn möglich ohne Schwefel.
Ihre Weißweine baut Simone Adams je nach Rebsorte unterschiedlich aus, mal mit Standzeit, mal mit Maischegärung. Auch sie gären und reifen in Holzfässern, mal neu, mal neutral. Schwefel setzt sie nur zu, wenn nötig.
Rebstock
Als Wissenschaftlerin forschte Simone Adams unter anderem auch über den Einfluss des sogenannten Gipfelns, jenes Kappens der Triebspitzen über das Weinjahr hinweg, das bis heute gängige Praxis in den Weinbergen der Welt ist. In diesen Triebspitzen steckt ein Hormon, das in den Wachstums-Haushalt der Rebe eingreift. Es sorgt nach dem Gipfeln für verstärktes Blattwachstum an Stellen, die Rebe und Traube nichts bringen, und beeinflußt zudem über die Beerenschale den Wein geschmacklich. Weil das vegetative Wachstum der Rebe dadurch außer Balance gerät, ginge dies zu Lasten der Harmonie im Wein, meint die Wissenschaftlerin.
Engagierte Winzer verzichten inwischen auf dieses Kappen der Triebspitzen. Sie binden sie aufwendig manuell zu Girlanden, wie im Bild oben zu sehen, und beeinflussen damit den Wachstumstrieb der Rebe an einer entscheidenden Stelle der Laubwand. Speziell der zickigen Pinot Noir verleihen sie so feinere, zugleich aber physisch dichter wirkende Gerbstoffe, die zudem spürbar weniger bitter ausfallen. Dieses akademische Wissen hilft der Winzerin Simone Adams, Prozesse in Gang zu setzen, die ihre Weine anders und besser machen.
Neugier, Offenheit und Können
10 ha Reben bewirtschaftet Simone Adams in Ingelheim. Der Ruf der Region kam damals nicht von ungefähr, sind die Böden dort doch in mancherlei Hinsicht besonders. Ihre Carbonatgehalte von über 70% prägen sie in Duft, Geschmack und Wirkung als die am stärksten vom Kalk beeinflußte Weinlandschaft Rheinhessens.
Bis heute hat es in Ingelheim keine Flurbereinigung gegeben. Weil die Böden und Lagen bis heute nur in landwirtschaftlicher Nutzung bearbeitet wurden, blieb ihr Bodenrelief unberührt. Es entspricht noch heute historischem Stand. Üblicherweise wird bei Flurbereinigungen das Gelände zur »effizienteren« Bewirtschaftung mit Baggern »angepaßt« und dazu auch mal mit Müll, Gestein und Fremdboden aufgefüllt. Vonwegen »Terroir« ...
Diese Gegebenheiten haben Simone Adams veranlaßt, ihre Pinot Noirs ganz auf die Unterschiede ihrer Böden und Lagen zu fokussieren. Dabei kommt ihr in der Umsetzung ihrer Vorstellung eines Herkunftscharakters die ursprünglich kleine Parzellierung der Ingelheimer Lagen besonders entgegen. Und so kann man es nachvollziehbar unterschiedlich fühlen in ihren Lagenweinen, das Kalkverwitterungsgestein, das sich hier vor rund 50 Millionen Jahren bildete.
Primus inter Pares
»Pares« heißt die historisch bekannteste Spitzenlage Ingelheims, die einstmals großen Ruf genoß in aller Welt. Mehr als 30 Jahre lag das Filetstück dieser Lage, das Simone Adams vor ein paar Jahren erwerben konnte, brach, von Brombeeren und Buschwerk überwuchert. Sie rodete es, mußte dafür aber in Zusammenarbeit mit der Naturschutzbehörde ökologisch wertvolle Ausgleichsflächen schaffen.
Durch die jahrzehntelange Ruhezeit entstand in der kleinen Parzelle auf natürliche Weise eine wertvolle Humusauflage, die heute den jungen Reben sichtbar Vitalität verleiht. Rechts im Bild deren erster zu Wein verarbeiteter Jahrgang 2019. Dessen lockerbeerige Trauben mit kleinen, hocharomatischen Beeren lieferten einen tiefgründig dunkelwürzigen, in den Gerbstoffen dicht gestrickten Pinot Noir, der sich von den anderen Ingelheimer Lagen durch eindrückliche Intensität in Aroma und Charakter markant abzusetzen versteht. In ihm verspricht die Lage schon heute, an ihren großen Ruf anknüpfen zu können. Die kommenden Jahre werden es weisen, schon jetzt einer der großen seiner Art.
Selbstbewußt gegen den Strom
Deutscher Wein folgt gerade merkwürdig stromlinienförmigen Paradigmen. »Riesling, Riesling über alles« - in allerdings zunehmender stilistischer Einfalt und zu ganz schön rasanten Preisen. Dagegen setzt Simone Adams selbstbewußte Duftmarken mit ihren Burgundersorten. Dazu gehört auch der ungeliebte Grauburgunder (links im Bild). Er erfreut sich gerade mal wieder großen modischen Zuspruchs, doch Simone Adams sucht auch mit ihm den Widerspruch. Sie hat ihm ausgedehnte Maischegärung verpaßt, die ihm präsent herbe Gerbstoffe vermittelt, wie man sie in konventionellem Weißwein nicht kennt. Provozierend unfiltriert »naturtrüb« als Naturwein abgefüllt, ungeschwefelt, unbehandelt und so anregend natürlich, daß er sich schnell eine vornehmlich junge Käuferschaft erobert hat, die sich für konventionell »sauberen« Weißwein nicht interessiert .
Auch ihren brillanten Chardonnay und Weißburgunder baut sie ohne Korrekturen und Zusatzstoffe im kleinen Holzfaß lange auf der Feinhefe aus, um die faszinierende Strahlkraft der Ingelheimer Kalkböden so ungeschminkt wie möglich in Charakter und Eigenart zu bündeln.
Qualität kommt nicht von ungefähr. Wenn sie nicht nur der Erfüllung banaler Klischees dienen soll, sondern als die Gesamtheit aller Einflüsse an Wachstumsbedingungen, Jahrgang, Zustand des Bodens, Art der Weinbereitung und Anspruch des Winzers oder der Winzerin als komplexes Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden will, ist dazu mehr nötig als nur das schnelle geschmäcklerische Urteil. Ihr bewußtes Erleben setzt profunde Erfahrung, die Fähigkeit zur Selbstkritik und sensorisches Können voraus.
Wie wollte man sonst den Unterschied zwischen dem getränketechnologischen Erzeugnis aus moderner Kellertechnik und dem handwerklichen Naturprodukt Wein herausschmecken? Im fordernden Jahrgang 2021 gingen Simone Adams und ihre Mitarbeiter mit großen Pinzetten durch die Rebzeilen, um die von Mehltau und Sonnenbrand befallenen Beeren einzeln herauszupicken. Nur so konnte aus 2021 ein qualitativ anspruchsvoller Jahrgang werden. Qualität eben, und die hat ihren Preis.
Unbeirrt von den Urteilen ihrer Berufskollegen verleiht Simone Adams seit Jahren ihren Spätburgundern Größe, Charakter und Strahlkraft, in dem sie sie mit Stiel und Stängel mazeriert und vergärt, also als ganze Trauben verarbeitet (Bild oben). Begonnen hat sie das Experiment mit ihrem Spätburgunder »Kaliber 48«. Als sie dort feststellte, daß die Einwände und Bedenken ihrer Kollegen nicht stimmten, begann sie auch ihre anderen Spätburgunder mit mehr oder weniger hohem Anteil an Stielgerüst zu vergären. Seit 2019 ist sie sich so sicher in deren Handhabung, daß sie alle ihre Lagen-Pinots auf diese Weise vergärt. Eine rare Ausnahme hierzulande.
Dadurch fällt zwar die Farbe ihrer Rotweine etwas heller aus, weil sie die Moste nicht mehr mechanisch extrahieren kann, sie gewinnt dafür aber intensiv eigenständige Aromatik und ein Gerbstoffspiel, das im jungen Wein zunächst kernig wirkt, sich mit der Zeit aber in umso komplexere Wirkung im Mundgefühl verwandelt. Wo sich doch die Winzerkollegen im Ort einig waren, daß das nichts werden kann ...
Brennessel und andere Tees als Spritzmittel. Jawohl, auch im Bioweinbau muß gespritzt werden. Je nach Jahrgang, Klima und Pilzdruck sogar öfter als im konventionellen Anbau. Nur wird hier nicht mit synthetischen Präparaten gespritzt, deren Nebenwirkungen eklatant sein können (und sind!), sondern mit Kräuter- und Pflanzentees, wie auf dem Bild oben in Vorbereitung. Bio- und vor allem Biodynamik-Winzer*innen wie Simone Adams setzen auf die natürlichen Wirkstoffe bestimmter Pflanzen und Kräuter (die ja auch nur Chemie sind, wenn auch natürlich vorhandene), die in Naturheilkunde und traditioneller Medizin seit Jahrhunderten erfolgreich eingesetzt werden. Sie stärken damit die Widerstandskräfte der Rebe im Vorfeld einer möglichen Infektion - sanfte Prophylaxe statt harte Reaktion. Funktioniert zuverlässig, mit Zitrusfrucht-Ölen sogar gegen echten und falschen Mehltau.
Brennessel und Weidenrinde, zum Tee-Auszug angesetzt. Eine wahre Wunderwaffe, auch wenn manche derartige »Volksmedizin« belächeln. Sie irren. Die Brennessel wurde schon im Altertum medizinisch genutzt. Sie enthält Phenolcarbonsäuren, Flavonoide (vornehmlich Quercetin), sowie die für das Wachstum wichtigen Kieselsäure, Magnesium, Kalium, Eisen und Silizium in pflanzenverfügbarer Form. Sie enthält Enzyme und Phytohormone, denen man krebsvorbeugende Wirkung nachsagt, hemmt nachweislich Entzündungen. Und die Weide wurde schon zu Christi Zeiten gegen Entzündungen eingesetzt. Sie enthält bis zu 11% Salicylate, also pflanzliches Aspirin. »Unser« Aspirin ist lediglich eine chemisch modifizierte Form. Sie funktioniert, die Naturmedizin, weil sie auch nur Chemie ist. Man muß sie nur, wie Simone Adams, in Dosierung und Verarbeitung gekonnt zu nutzen wissen.
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