Süßwein


Weine mit Restzucker fristen als Essensbegleiter, aber auch als Wein für den Genuss, zu Unrecht ein Schattendasein, zählen zu dieser Gruppe doch einige der größten Weine der Welt. Gerade ihre spezifische Aromatik stellt dabei für den experimentierfreudigen Feinschmecker ein weites Betätigungsfeld dar. In vielen Menüs finden süße Weine entweder überhaupt keinen Platz oder sie werden ohne allzu viel Überlegung einer Stopfleber oder dem Dessert beigesellt. Das simple Motto "süß zu süß" führt jedoch nur in Ausnahmefällen zu einer kulinarisch befriedigenden Liaison. Meistens kommen bei solcherlei Kombinationen weder der Wein noch die Speise wirklich zur Geltung: Angesichts des süßen Gegenparts wirkt entweder der Wein dünn und sauer oder das Essen fad und bitter. 

Entscheidende geschmackliche Komponente eines Süßweins ist, wie sein Name schon sagt, die Süße. Diese resultiert zum einen aus unvergoren gebliebenem Zucker der Trauben. Dessen Menge schwankt zwischen 20 und mehreren hundert Gramm pro Liter Wein. Zu den süßen Substanzen im Wein gehört außerdem der Alkohol, der zum einen selbst einen süßen Geschmackseindruck auf der Zunge hervorruft und zum anderen den süßen Geschmack des Zuckers verstärkt. Je nach Restzuckergehalt und Alkoholgradation unterscheiden sich Süßweine grundlegend voneinander. Dazu kommt noch die in der gleichen Bandbreite schwankende Säure als zweiter maßgeblicher Geschmackseindruck, der zusätzliche Aufmerksamkeit bei der Integration eines süßen Weines in ein Menü erfordert. Schon in relativ geringer Konzentration wirkt Süße auf die Geschmacksknospen regelrecht betäubend und lässt alles weniger Süße fad und ausdruckslos erscheinen. Auch Säure wird von den Geschmackspapillen registriert. Treten die beiden Geschmäcker nebeneinander auf, neutralisieren sie sich bis zu einem gewissen Grad gegenseitig. So kann beispielsweise ein Wein mit entsprechend hoher Säure noch bei einem Restzuckergehalt von 30 g/l trocken schmecken. 

Auch Bitterkeit, der dritte im Wein vorkommende Geschmack, lässt Zucker weniger süß erscheinen. Im Unterschied zu fast allen anderen Weinen spielen Duft und Aromen eines Süßweines bei seiner Vermählung mit einem Gericht nur eine untergeordnete Rolle. Zunächst gilt es einzig, der auf der Zunge in Erscheinung tretenden Süße des Weines ein geschmackliches Pendant in der Speise gegenüberzustellen, das in seiner Intensität gleichwertig ist. Dabei muss die Süße des Weines keinesfalls immer durch Zucker im Essen aufgewogen werden. Insbesondere Salz eignet sich häufig hervorragend als Zucker-Gegenspieler. So harmonieren die meisten Käse, insbesondere wenn sie fett, cremig und geruchsintensiv sind, erheblich besser mit süß nuanciertem Weiß- als mit Rotwein. Auch zur asiatisch inspirierten Küche, deren Schärfe alle säurebetonten Weine als Begleiter verbietet, kann ein halbtrockener Wein aus einer weißen Aromarebsorte perfekt passen.

Schließlich bleibt noch die Möglichkeit wie in der klassischen Paarung von Stopfleber und Sauternes, der Süße im Wein mit Fett-Paroli zu bieten. 

Der zweite, der Süße-Balance fast gleichwertige Aspekt bei der Kombination von Süßwein und Speise, ist die Textur des Weines. Seine Dick- oder Dünnflüssigkeit, die maßgeblich vom Zucker-, Glycerin- und Alkoholgehalt bestimmt wird, muss zum jeweiligen Gericht passen. Je filigraner ein Wein, desto luftiger; je öliger der süße Tropfen, desto cremiger sollte die dazu gereichte Speise sein. 

Zur echten Herausforderung wird die Kombination von Süßweinen dann, wenn neben den Grundgeschmäckern (süß, sauer, bitter) und der Textur auch noch die vielfältigen Aromen dieser Weine berücksichtigt werden sollen. 

Je nach Traubensorte, Machart und Alter entströmen einem Glas Süßwein Duftnoten, die von Orangenschale, Mango und Aprikosen über Quitte, Feigen und Rosinen bis zu Honig, Karamell und Stroh reichen können. Insbesondere wenn der Wein einer Süßspeise zugesellt werden soll, bietet sich die Suche nach gemeinsamen Aromen an. Ein Trick bei jungen Süßweinen mit entsprechendem Säuregerüst sind stets fruchtige Soßen als aromatische Brücke zwischen Wein und Essen. 

Gute Süßweine sollten niemals zu kalt serviert werden, da sie sonst leicht unharmonisch wirken können. So darf ein großer Sauternes durchaus mit 16 Grad auf den Tisch kommen. Sollte freilich einmal ein Wein zum vorgesehenen Gericht zu süß wirken, kann das Herunterkühlen des Tropfens um einige Grad die geschmackliche Harmonie retten.

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