Champagner. Ein Kulturgetränk (kein Kultgetränk)

Einige hundert Jahre hat es gedauert, bis er zu dem wurde, der er heute ist. Menschliche Kulturleistung. Laßt sie uns würdigen!
Um den Benediktinermönch Dom Pérignon (1638-1715), Cellarius der Benediktinerabtei Hautvillers in der Champagne, ranken sich zahlreiche Sagen und Märchen, die verkünden, daß er den Champagner »erfunden« haben soll.
Tatsächlich begann man in der Champagne bereits um 1670 damit, den dort wachsenden Wein in Flaschen zu füllen, um so seine Frische zu bewahren. Die Abfüllung fand dabei aber wohl oft zu früh statt, was in den kalten Wintern in der Champagne nicht auffiel, aber kaum wurde es im Frühjahr warm, begann es in vielen Flaschen wieder zu gären. Man hatte schließlich noch keine Ahnung von der Wirkung des Restzuckers auf die noch vorhandenen Hefen (die erst sehr viel später entdeckt werden). So ließ die sich während der Nachgärung auf der Flasche bildende Kohlensäure Tausende von Flaschen in den Keller, bei den Kunden und während des Transportes explodieren, weil die damals noch von Hand aus drei Teilen zusammengefügten Glasflaschen dem entstehenden Druck nicht standhielten. Es kam zu Toten und schweren Verletzungen, was Kellermeister und Lieferanten damals dazu zwang, Eisenmasken und Rüstungen zu tragen, um sich vor dem gefährlichen Getränk zu schützen, das inzwischen den Beinamen »Wein des Teufels« trug.
Besagtem Dom Pérignon scheinen wir immerhin die Kunst des Verschnitts des Grundweines, des Weißkelterns roter Traubensorten und den Verschluss der Flasche mit einem Kork, den er mit einer Schnur am Flaschenhals befestigte, zu verdanken.
Eine der vielen Geburtsstunden des Champagners schlägt, als findige englische Glasbläser Ende des 18. Jahrhunderts beginnen, druckfestere Flaschen mit dem typischen, sich nach innen wölbenden Buckel im Flaschenboden zu entwickeln. Sie ermöglichen damit ihren Landsleuten, die das wundersam belebende Getränk bereits in Mengen zu genießen scheinen, den mehr oder weniger verletzungsfreien Genuss ihres geliebten Getränks. Allerdings fällt die Qualität der Flaschen noch sehr schwankend und zufällig aus, weil die Hefe der zweiten Gärung noch immer in der Flasche enthalten ist und so für ein nicht nur trübes, sondern auch mikrobiologisch instabiles Getränk sorgt.
Der Schaumwein, wie wir ihn heute kennen, entsteht erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die legendäre Witwe Cliquot zusammen mit ihren deutschstämmigen Kellermeistern Antoine Müller und Alfred Werlé 1806 das Abrütteln der Hefe und damit das Degorgieren erfindet.
1837 weisen die Forscher Charles Cagniard-Latour, Theodor Schwann und Friedrich Traugott Kützing unabhängig voneinander nach, dass der als alkoholische Gärung bekannte Abbau von Glucose zu Ethanol durch Lebewesen, nämlich durch Hefen, verursacht wird. Dass für den anaeroben Abbau von Zuckern die Stoffwechselprozesse lebender Hefezellen verantwortlich sind, war zum damaligen Zeitpunkt noch sehr umstritten.
Im gleichen Jahr wird das bis dahin mysteriös instabile und gefährliche Getränk zum heutigen Champagner, als nämlich ein junger Apotheker aus Reims, André François, jene Zucker- und Hefemenge herausfindet, mit der die Kellermeister den Grundwein in der Flasche impfen müssen, um reproduzierbar gleichen Flaschendruck durch die zweite Gärung auszulösen, die für feine und persistente Blasenbildung sorgt, ohne daß die Flasche explodiert. Während der Flaschengärung entstehen immerhin 6 bar Druck, die Flaschen müssen 10 und mehr bar Druck aushalten können.
André François ist heute weitgehend vergessen, obwohl er der eigentliche Erfinder des modernen Champagners ist. Kurz nachdem er seine Formel veröffentlicht hat stirbt der arme Apotheker 1838 und kann nicht mehr miterleben, wie die bis dahin ärmliche Champagne durch seine Erkenntnisse zur reichen Heimat einer Weinindustrie wird, die heute eine in aller Welt bekannte Marke produziert.
Trotz aller Erfolge hat man bis dahin aber noch immer nicht den Vorgang der Gärung auf der Flasche verstanden. Das ändert sich erst 1850, als Louis Pasteur ihn gegen den Widerstand deutscher Chemiker als biochemischen Mechanismus entzaubert und so den wissenschaftlichen Grundstein für die moderne Wein- und Schaumwein-Herstellung legt.