Botrytis Cinerea | Edelfäule


Botrytis bezeichnet eine Pilzgattung, die zu den Schimmelpilzen gehört. Botrytis Cinerea, der Erreger des Grauschimmels, ist ein weltweit verbreiteter, sehr häufig vorkommender Schädling auf Weintrauben, Beeren- und Kernobst (v. a. Erdbeeren), Salat, Möhren, Sellerie und Kohl. Zudem ist der Schimmelpilz Verursacher der sogenannten Edelfäule auf Trauben, wo er für wunderbar edelsüße Beeren- und Trockenbeerenauslesen sorgen kann. 

Der Botrytis-Pilz bildet sich auf reifen Trauben bei feuchtwarmem Wetter. Zum Wachsen der Pilzsporen für die Edelfäule braucht er Feuchtigkeit; die liefern ihm z. B. Frühnebel oder nahe Gewässer. Die Tage sollten warm genug sein, um die Beeren wieder abtrocknen zu lassen. Derart »schimmelfreundliches Ideal-Klima« findet man nur in wenigen Weinbaugebieten der Welt, die dementsprechend für hervorragende edelsüße Weine bekannt sind. In Frankreich sind das Sauternes und Umgebung in der Nähe von Bordeaux und das Anjou an der Loire, wo die Rebsorte Chenin Blanc absolute Weltklasse-Botrytisweine hervorbringt. In Deutschland finden sich solche Gebiete an der Mosel, an der Saar und im Rheingau, aber auch in Franken und der Pfalz gelingen in wenigen Jahren pro Jahrzehnt grandiose Botrytis-Weine, die zu den feinsten und teuersten der Welt gehören. Im schweizer Wallis werden aus der Rebsorte Petite Arvine weniger bekannte, aber famose edelsüße Weine gekeltert. Weltklasseniveau und Weltruhm vereinen sich nirgendwo sonst so gut wie um und am österreichischen Neusiedlersee und im ungarischen Tokaij, das unglaublich dichte, feine und sensationell konzentrierte Trockenbeerenauslesen (TBA) und Ausbrüche aus der Furminttraube hervorbringt, die atemberaubend süß und frisch zugleich gelingen können.


Der Edelfäule-Mechanismus

Der Schimmelpilz wächst unter oben beschriebenen Bedingungen sehr schnell auf, perforiert mit seinen Enzymen die Beerenschale, sodass Feuchtigkeit austritt , die verdunstet. Der Pilz ernährt sich von Säuren, Stickstoff und Zucker. Er verbraucht mehr Säure als Zucker und gibt Stoffwechselprodukte in die Beere ab. Dieser Mechanismus führt zur natürlichen Konzentration des Beerensaftes, aber auch die Konzentration an Inhaltsstoffen der Beere, Anionen und Kationen, steigt an.

Der Edelfäule-Prozess liefert so zu Beginn des Befalls nette süße Weine; wenn der Pilz aber weiter gesund wachsen kann, erhöht er die Konzentration an Zucker und Säure in der Traube und ergibt mit zunehmendem Befall immer süßeren, zugleich aber auch "saureren" Wein, was die rare Balance großer Jahrgänge z. B. an der Loire (Côteaux du Layon etc.) oder in Tokaij erklärt. In großen Jahrgängen, in denen die Botrytis gesund wächst, kann der Zuckergehalt der Trauben auf bis zu 45 % ansteigen, was unglaublich hohe Mostgewichte zur Folge haben kann, deren hochwertige Moste einmalig konzentrierte und ausbalancierte Trockenbeerenauslesen hervorbringen.

Die Verarbeitung der verschimmelten Traube, die zum Schluss ja fast nur noch Rosine, Haut und Schimmel, ist, führt zu jenem Edelfäule-Bukett oder Botrytis-Ton, dessen charakteristische Safran-Aromen und orientalische Gewürzbasar-Anklänge unverkennbar signalisieren, dass es sich um gesunde Botrytis handelt.

Um hochwertige BotrytisWeine zu erzeugen, ist enormer Aufwand nötig. In manchen Jahrgängen gehen Lese-Teams mit Haushaltsscheren und kleinen Steigen bis zu 20, 30 Mal durch die Rebzeilen, um einzelne Trauben auszulesen und dann mit nur 1-3 kg Trauben nach Hause zu kommen. Dieser Aufwand erklärt die oft horrenden Preise für Weltklasse-TBAs. Der mit der Konzentration einhergehende Mengenverlust an Wein wird durch den enormen Qualitätszuwachs also mehr als ausgeglichen. Solche edelsüßen Spitzen-Weine besitzen legendäre Haltbarkeit durch extreme Zucker- und exzellente Säurewerte.

Botrytisbefall bei trockenen Weißweinen wirkt sich allerdings qualitätsmindernd aus. Er kann zu vorzeitiger Alterung des Weines, zu charakteristisch bitterem Geschmack (z. B. in vielen elsässischen Grand Crus und Naturweinen) und zu unangenehmem Geruch führen.

Botrytisbefall von roten Trauben gilt es zu vermeiden. Rote Trauben reagieren negativ auf Botrytisbefall, sodass bei stärkerem Befall kein Rotwein daraus gekeltert werden kann. Der Botrytis-Pilz gibt ein bestimmtes Enzym, (Laccase) in die Trauben ab. Es ist analytisch auch nach dem Pressen im Most und sogar im Wein nachweisbar. Es spaltet die Struktur der farbgebenden Anthocyane so auf, dass sich die Farbe des befallenen Rotweines deutlich negativ von gesundem Rot ins orange-bräunliche verändert. 

Diese Laccase verändert auch in Botrytis-Süßweinen mit zunehmender Alterung deren Farbe. Sie kann sich von den jugendlichen Gelbtönen im Alter zu gold und schließlich zu fast schon Cognac-ähnlicher Braunfärbung verändern.

Katastrophal wirkt Botrytis, wenn Trauben, die noch nicht voll ausgereift sind, befallen werden. Dann kann bei nasser Witterung die gefürchtete Rohfäule, auch Sauerfäule genannt, entstehen. Das ist dann meist das Ende der Ernte. Deshalb sieht man Lese-Teams bei der Lese befallener Trauben in entsprechend sensiblen Jahrgängen an jeder Traube riechen. Riecht sie nach Essig, wird sie verworfen, riecht sie nicht, wird sie separiert als botrytis-befallene Beere.


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