Biodynamischer Kalender


Sie haben es bestimmt auch schon erlebt: Es gibt Tage, da will Ihnen Wein nicht schmecken. Man kreidet es dem Wein an und seinem bzw. seiner Händler:in oder dem Weingut und geht frustriert ins Bett. Fakt ist, dass der Wein oft nichts dafür kann. Es scheint unsere eigene Physiologie zu sein, die uns diesen Streich spielt, ohne dass wir es merken.

Große englische Weinhändler:innen und die Einkäufer:innen berühmter Supermarktketten orientieren sich für den Zeitpunkt ihrer Einkaufsverkostungen schon lange am biodynamischen Kalender. Sie haben genau das bemerkt, was auch Ihnen aufgefallen ist, aber nachhaltig nach dem Warum? gefragt. Das führte sie zum biodynamischen Mondkalender.

Das mag nun mystisch und abgehoben klingen, doch denken Sie an gute Gärtner:innen oder an Schreiner:innen und Tischler:innen, die ihr Metier noch verstehen - sie arbeiten ganz selbstverständlich nach diesem Mondphasenkalender, damit ihre Pflanzen gut anwachsen und ihr Holz nicht arbeitet. Geigenbauer:innen können nur Holz verarbeiten, das in der richtigen Mondphase geschlagen wurde, sonst reißt es. Das ist zunächst nur altes Erfahrungswissen.

Ich will Sie nicht mit Mystik und Esoterik konfrontieren, aber ich will versuchen zu erklären, warum in unserer Branche vom Anbau über die Pflege im Weinberg bis zur Arbeit im Keller und schließlich bis zu Ihnen im Glas das, was die Esoteriker:innen in der Biodynamik als »kosmische Kräfte« bezeichnen, tatsächlich praktische Auswirkungen auf unser aller täglichen Genuss hat.

Dieser Kalender, um den es in der Biodynamik ganz wesentlich geht, basiert auf einer Zusammenfassung Jahrhunderte alten Erfahrungswissens durch Maria Thun, die 2012 verstarb. Sie hat dieses komplexe Wissen - überliefert von Generationen vor ihr - ihr Leben lang ausgewertet, beobachtet, niedergeschrieben und versucht, es in ein Schema zu bringen. Dieses Schema ergab sich aus Mond- und Sonnenzyklen, Sternekonstellationen und den Bewegungen des Sonnensystems. Es basiert auf Erfahrungen, die Generationen von Handwerker:innen, Gärtner:innen, Metzger:innen, Winzer:innen, Imker:innen, aber auch Naturwissenschaftler:innen, gemacht und entsprechend überliefert haben. Dieser biodynamische Kalender wird heute von Tausenden von Menschen auf der Welt ganz selbstverständlich und völlig unromantisch und unesoterisch benutzt, um zum richtigen Zeitpunkt auszusäen, zu pflanzen, zu ernten und zu verarbeiten, vom Agraringenieur bis zum Zeitler.

Über ihre Winzer:innen kamen auch besagte englischen Weinhändler:innen (übrigens als erste auf der Welt) auf diesen Kalender, um ihre empirische Beobachtung, dass es Tage gab, an denen ihnen Wein partout nicht schmecken wollte, damit zu erklären zu versuchen. Er funktionierte so verblüffend stimmig und zuverlässig, dass heute Verkostungen auf der ganzen Welt nach diesem Kalender terminiert werden.

Worum geht es?

Wenn der Mond auf seiner Wanderung die 12 bekannten Konstellationen Skorpion, Jungfrau, Krebs etc. passiert, scheint die jeweilige Konstellation wesentliche Mechanismen der Natur konkret zu beeinflussen. So konkret, dass man daraus vier Kategorien extrahierte: Die Frucht-Tage, die Blüten-Tage, die Blatt-Tage und die Wurzel-Tage. Sie sind es, die darüber entscheiden, ob uns Wein an diesem Tag schmeckt oder nicht, ob Pflanzen gut anwachsen oder nicht, ob man abfüllen sollte oder besser nicht, usw. Erleben Sie an Frucht- und Blütentagen, dass Ihnen Wein hervorragend munden wird. Vermeiden Sie Blatt- und Wurzeltage, an denen Ihnen Wein weniger schmecken wird.

Es klingt so weit hergeholt, dass ich als Naturwissenschaftler der ganzen Sache äußerst skeptisch gegenüberstand, obwohl ich seit Jahrzehnten mit Weingütern arbeite, die ihre tägliche Arbeit danach ausrichten. Ich musste selbst erleben, dass dieser Kalender mein Weinerleben nachvollziehbar beschreiben konnte. 

Ihre Skepsis in Ehren, aber Sie werden staunen, wie präzise dieser merkwürdige Kalender auch Ihr Weinempfinden zu beschreiben vermag. Die Beobachtungen in Sachen Wein stammen übrigens nicht von Maria Thun. Es war die englische Weinindustrie, die die Zusammenhänge entdeckte, publizierte und heute praktiziert. Anders als oft verlautbart, gilt diese Beobachtung übrigens für alle Weine, egal ob konventionell oder biodynamisch angebaut, ob Industrie oder Handwerk, sodass man zunehmend zu der Auffassung gelangt, dass es nicht der Wein ist, der von den Phasen des Kalenders betroffen ist, sondern unsere eigene menschliche Physiologie.

Erleben Sie Wein also mit all Ihren Sinnen. Erleben Sie seine Vielfalt, seine Lebendigkeit, seine Ausstrahlung, mit einer gewissen Demut vor Ihren eigenen Verkostungsfähigkeiten. Gleichen Sie Ihre Erfahrungen ganz beiläufig mit besagtem Kalender und seinen Frucht-, Blüten- Blatt- und Wurzeltagen ab und staunen Sie, wie nachhaltig die Natur uns und unsere Fähigkeit zu riechen und zu schmecken zu beeinflussen versteht.

©K&U