Adstringierend


Als Adstringenz beschreibt man jenes Gefühl im Mund, das Rot- und Weißweine (z. B. maischevergorene Orange-Weine) mit entsprechendem Gehalt an Gerbstoffen (Tanninen) auf der Zunge und im Mundraum auslösen. Es sorgt für ein physisch spürbares »raues«, pelziges, an Leder erinnerndes, stumpf und matt wirkendes Gefühl oben auf der Zunge, ein trigeminaler Reiz, den man mit einem Geschmackseindruck wie Bitterkeit vergleichen kann. 
Dabei entsteht das pelzige Mundgefühl durch eine Eiweiß-Gerbstoff-Reaktion, bei der die Polyphenole der Tannine, die ja nichts anderes als Kettenverbindungen sind, mit dem Eiweiß der Mundschleimhaut reagieren, wobei das Eiweiß, physisch spürbar, ausfällt.

Insbesondere in jungen Rotweinen aus dickschaligen Rebsorten macht sich starke Adstringenz bemerkbar. Diese Gerbstoffe sind mehr oder weniger lange Polymerketten, die physikalisch im Mund mit den Geschmackspapillen interagieren, indem sie, je nach Größe und Länge der Polymerketten, ein unterschiedlich strenges und bitteres Geschmacksgefühl auslösen. Man hat dann das Gefühl, dass der Mund buchstäblich austrocknet, sich »ledern« anfühlt.

Adstringenz erlebt man aber nicht nur in jungen, sondern vor allem auch in qualitativ minderwertigen Rotweinen, deren Maische zu stark abgepresst wurde, die falsch oder zu stark mazeriert und extrahiert wurden oder mit dem Vollerer, als der Lese-Maschine, geerntet wurden. Gerbstoffe aus schneller Maschinenlese sind immer kurz, stumpf und minderwertig.
Man spricht dann von »kurzen« Gerbstoffen, im Gegensatz zu jenen geschmeidig und seidig wirkenden langen Tanninen (Tannine = Gerbstoffe), die durch schonende Extraktion und kürzere Maischestandzeit feinere und höherwertigere Gerbstoffqualität aufweisen, weil physikalisch längere Ketten bilden, die auf der Zunge feiner und weicher wirken.


Gerbstoffe als physikalische Qualitätsparameter

Wenn schonende Weinbereitung den Gerbstoffen die Zeit zugesteht, entsprechend lange und stabile Polymerketten bilden zu können, kann man von hochwertigem Rotwein sprechen. Solche Rotweine dekantiert man ausreichend lange, mindestens eine halbe, besser noch eine ganze Stunde vor Genuss, um durch die dabei stattfindende Polymerisation der Gerbstoffketten, deren systematische Verlängerung also, den Eindruck feinerer, reiferer, »längerer« Wirkung auf der Zunge zu gewinnen, die für die Feinheit und Größe, die Eleganz und Qualität eines großen Rotweines unnachahmlich steht.

Mit entsprechender Übung und Erfahrung kann man also aus der physikalischen Beschaffenheit der Gerbstoffe unmittelbar und direkt auf die Qualität eines Rotweines schließen. Nur wenn seine Gerbstoffe die Frucht des Weines als Information so integriert in sich tragen, dass man sie kaum spürt, aber trotzdem als mehr oder weniger feines und lange nachwirkendes seidig samtiges Gefühl auf der Zunge fühlt, ist ein Rotwein hochwertig. Diese Gerbstoffe kann man chemisch und physikalisch manipulieren. Man kann sie durch Schönungen beeinflussen. Man kann sie wegnehmen, weniger spürbar machen, hinzufügen kann man sie nicht. Was also die Natur nicht dem Wein an Gerbstoffen mitgegeben hat, ist in Wirkung und Physik nicht zu manipulieren.

Durch Lagerung im Holzfass  während des Weinausbaus, auf der Flasche im Keller oder durch entsprechendes Dekantieren  verlängern sich die Polymerketten der Gerbstoffe im Laufe der Zeit. Ihre trockene Härte nimmt ab, sie werden länger und damit weicher im Geschmacksgefühl, wirken dann geschmeidig ohne schwer zu sein und klingen elegant und samtig lang am Gaumen aus.
Ein schlecht extrahierter, gerbstoffbeladener und deshalb minderwertiger Rotwein wird all das auch mit entsprechender Reife auf der Flasche oder durch dekantieren nicht können. Wenn sich also ein Rotwein in der Karaffe so gar verändern will, wissen Sie, woran Sie sind ...
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