Als wir Serge Scherrer kennenlernten, war er Postbote in einem kleinen Städtchen im südfranzösischen Departement Gard. Er hatte zwar ursprünglich Weinbau studiert, aber zu Hause im Elsaß keine Stelle gefunden. Die weltbekannte Weinbauregion steckte lange in einer tiefen Sinn- und Identitätskrise und weil seine Familie mit Weinbau nichts zu tun hatte, mußte er einer anderen Beschäftigung nachgehen, um seine junge Familie zu ernähren. Er suchte und fand eine gut dotierte Stelle als Postbote im Süden Frankreichs. Die Familie zog um und Serge wurde »Facteur«, wie der Postbote in Frankreich heißt.
Fast zwanzig Jahre diente er dem Staat. Als lokale Berühmtheit, die täglich mit dem Fahrrad die Post auslieferte, kam er dabei natürlich auch mit dem Wein in Berührung. Das Departement Gard gehört schließlich zum Languedoc und dem wenige Kilometer entfernten Städtchen Uzès ist sogar eine eigene Appellation gewidmet.
Als ihm eine betagte Adressatin vor ein paar Jahren mehr oder weniger zufällig ihren Weinberg anbot, zögerte der Facteur nicht lange. Er kaufte ihn und es kam, was kommen mußte: Kürzlich hat Serge seinen vorzeitigen Abschied eingereicht und bewirtschaftet seitdem 10 Hektar Reben, die er peu à peu kaufen oder pachten konnte. Heute ist er Vollerwerbswinzer. Seine biologisch bewirtschafteten Reben stehen auf einem kalkig lehmigen Plateau in Sichtweite des Städtchens Uzès. Kürzlich fand er auch ein Gebäude, das demnächst das eigene Weingut beherbergen wird. Der Weg dahin ist für einen Einzelkämpfer wie ihn hart und mühsam. Ohne entsprechendes Bankkonto ist er in Frankreichs Süden die Ausnahme, nicht die Regel.
Serge hat sich mit seinen Weinen schnell einen Namen gemacht. Nicht nur in Frankreich, wo er in den Pariser Naturwein-Bars zur festen Größe avancierte, sondern auch in vielen Ländern Europas. Sogar in New York und Kalifornien ist er auf den Karten vieler Restaurants und entsprechender Naturweinhändler vertreten. Seine Produktion ist klein und deshalb nach der Abfüllung meist schnell ausreserviert. Das verdankt er vor allem der in Frankreich so lebendigen wie präsenten Naturwein-Szene, die inzwischen auf der ganzen Welt enormes Interesse an der sogenannten »Natur im Wein« geweckt hat. Weil seine Weine nicht, wie so viele Naturweine, »natürlich« und fehlerhaft sind, sondern sich trotz minimaler Schwefelung und maximal natürlichen Ausbaus wohlschmeckend, lebendig, ehrlich und trinkfröhlich präsentieren, fanden sie aus dem Stand das Interesse engagierter Gastronomen und Händler. Der weinmachende Postbote war zur rechten Zeit am rechten Ort.
Serge Scherrers Werdegang vom Postboten zum Winzer haben wir vom ersten Tag an miterlebt. Heute begleiten wir ihn auf seinem Weg das Weinjahr hindurch in seinen Reben, wir ernten mit ihm und assistieren bei der Weinbereitung. Die Probleme, aber auch die Vorteile des biologischen Weinbaus konnten wir auf diese Weise hautnah und praktisch kennenlernen. Im Herbst 2016 hat unsere Dunja Ulbricht bei der Weinbereitung des »Vigne du Facteur« assistiert und das Abpressen mitverantwortet. Diese Umsetzung der Trauben eines Jahrgangs in einen unmanipuliert natürlichen Wein, der die Eigenschaften des Jahres ungeschminkt und unkorrigiert widerspiegelt, hat uns tiefe Einblicke in die nicht immer einfache Realität des Winzerdaseins beschert. Wir fragen uns deshalb, warum im Wein nicht einfach die Wahrheit gesagt wird? Warum herrscht gerade im Wein so haarsträubende Intransparenz, auch und gerade im Biowein? Warum lügen uns Winzer im direkten Gespräch und auf ihren Homepages so vorsätzlich an?
Es braucht Kompetenz, um diese Lügen als solche zu entlarven, doch eigentlich ist es ganz einfach: Wenn die Natur im Weinberg nicht das liefert, was der Winzer braucht, um Wein ohne die Manipulationen der modernen Önologie herstellen zu können, kennt er seine Reben und Böden nicht ausreichend, hat er im Weinberg etwas grundsätzlich falsch gemacht oder es war tatsächlich die Natur, die ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Warum kann man nicht offen, ehrlich und transparent benennen, wie ein Wein entstanden ist? Weil die meisten Winzer weder das Rückgrat noch das Können zu haben scheinen, sich den weitreichenden, hochvernetzten und ach so bequemen Fängen der Agrarindustrie und deren »korrigierender« Önologie zu widersetzen. Sie »machen« Wein für die Klischees des Marktes oder den Gusto ihrer Kunden, statt ihn mit Respekt vor der Natur entstehen zu lassen. Sie scheinen nicht bereit zu sein, sich ihrem riskanten Handwerk so ehrlich und kompetent zu stellen, wie es Serge Scherrer so bewundernswert transparent praktiziert.
Merci beaucoup, Serge, pour cette superbe expérience!
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