Süditalien steht meist für robuste Weine eher einfacherer Struktur. Ein paar wenige Winzer und Rebsorten sorgen für die Ausnahme dieser Regel. Der größte Teil der hierzulande angebotenen süditalienischen Weine stammt aus agrarindustrieller Produktion und nur zu oft aus anonymer Abfüllung, die maximal intransparent irgendwo im Norden Italiens erfolgt. Authentische Weine von Winzern, deren Weingüter tatsächlich existieren und die mit ihrem Namen und ihrem Gesicht nachweislich für Weine von eigenen Reben stehen, sind in Süditalien die Ausnahme. Auf unserer Suche nach solchen Ausnahmen stießen wir auf Valentina Passalacqua.
Der Besuch bei ihr beginnt unerwartet. Am Rande einer von riesigen Agrarflächen beherrschten Ebene nördlich des Städtchens Foggia treffen wir auf einen Palazzo, der die pragmatisch technischen Produktionshallen im Hintergrund zumindest einigermaßen zu kaschieren versteht. Einziger Fixpunkt in dieser für Süditalien typischen Agrarmonotonie ist der nahe Bergzug des Naturschutzgebietes »Parco Nazionale di Gargano« und, in unmittelbarer Nachbarschaft, eine biologische Kooperative. Der Palazzo ist italienisch eingerichtet, neureich stillos in übertrieben großen Räumlichkeiten. Das soll der führende Biodynamik-Betrieb Süditaliens sein? Hier soll der ur-alternative, allen Besitz ablehnende Stefano Belotti, der Urvater der italienischen Biodynamik, den wir seit den achtziger Jahren kennen, Seminare halten? Uns kommen Zweifel. Sind wir hier richtig? Residiert hier wirklich die große Biodynamikerin, der wir, nach dem Studium ihrer Homepage, eine ganz andere, sehr viel bescheidenere Umgebung zugedacht hätten?
Kaum stehen wir ihr gegenüber, sind unsere Zweifel Schall und Rauch. Valentina Passalacqua ist eine Persönlichkeit, deren Ausstrahlung uns vom ersten Augenblick an in ihren Bann zieht. Eine starke Frau mit beeindruckendem Auftritt und der offensichtlichen Kraft, Ideen umzusetzen. Sie entstammt einer Industriellen-Familie aus dem nahen Apricena. Ihre Karriere scheint vorgezeichnet. Nach dem Studium der Jurisprudenz in Rom und dem Master in London reist sie geschäftlich durch die Welt. Die Geburt ihrer zweiten Tochter wird zur Zäsur. Sie beschließt, sich mehr ihren Kinden zu widmen und dem Leben des Jetsets zu entfliehen. Als hätte sie der Blitz getroffen, entsteht in ihr der Wunsch nach einem Leben mit der Natur in der Natur.
Valentinas Familie hatte in den 1970er Jahren 70 Hektar Land gekauft, das sich als schwer zu bewirtschaften herausstellt. Die Böden sind karg, die Flächen öde. Ziegen und Schafe weiden dort fast zwanzig Jahre lang. 1999 legt Valentinas Vater die ersten Rebzeilen an, deren Trauben in der regionalen Genossenschaft verarbeitet werden. Mit der Entschlossenheit einer Frau greift Valentina auf das väterliche Erbe zurück, denn sie hat den Wein für sich entdeckt und mit ihm die Faszination der Biodynamik. Sie beginnt, ihre Zukunftspläne in die Tat umzusetzen. 2009 macht sie ihren ersten eigenen Wein. 2011 entsteht ihr heutiges Weingut, der heutige Auftritt und auf einem alten aufgelassenen Bauernhof in unmittelbarer Nachbarschaft auch ihr heutiger Wohnsitz. Aus der ursprünglichen Agrarwüste schafft sie über die Jahre ein Biotop, das die Monokultur ihrer Reben mit biologischer Diversität bereichert.
Die Zielstrebigkeit, mit der Valentina die Dinge angeht, ist außergewöhnlich. Eine auf sich gestellte Frau in der Männerwelt des süditalienischen Weines. Sie pflanzt ausschließlich autochthone Rebsorten der Region. Je nach Sonneneinstrahlung und Orientierung nutzt sie unterschiedliche Reberziehungssysteme, zum Teil auch die traditionelle Pergola-Erziehung Süditaliens. Für sie ist klar, daß sie nach biodynamischen Bewirtschaftungskriterien arbeiten will. »Mein Wein sollte so sein, wie ich bin«, meint sie, während sie uns in den Rebzeilen ihre Böden und deren Bearbeitung erläutert. »Ich wollte das essen und trinken, was ich will, nichts aus der Retorte der Industrie und schon gar nicht chemisch verseuchtes Gemüse, wie es hier um uns herum in Massen produziert wird«. Und dann sagt sie einen Satz, der lange in uns nachklingt: »Ich finde, wir Menschen sind immer das Ergebnis dessen, was wir essen und trinken“.
Konsequent verweigert sie korrigierende Eingriffe im Keller. Deshalb sind ihre Weine auch vegan, nicht um der Mode zu folgen, sondern weil sie Schönungen, Filtrationen und Korrekturen nicht braucht, sie erntet von Hand und verarbeitet ausschließlich sorgfältig ausgelesene, gesunde Trauben. »Um die üblichen Manipulationen und Korrekturen im Keller zu vermeiden, muß ich im Weinberg gut arbeiten. Deshalb habe ich mich für die Biodynamik entschieden. Sie ist in der Lage, die Wurzeln der Reben auf den kargen, kalkig steinigen Böden in die Tiefe zu zwingen und mit Humus zu versorgen, den unsere Reben im heißen Sommer brauchen, um überleben und in Balance mit ihrer schwierigen und fordernden Umgebung gelangen zu können. Ich bewässere nur die Jungreben. Ohne lebendigen Boden, ohne Humus, keine Feuchtigkeit, keine Nährstoffversorgung der Beeren, keine gesunden Gärungen. Die brauche ich aber, weil ich ausschließlich mit Wildhefe vergäre, also ohne Hefenährstoffe, ohne Enzyme, ohne irgendwelchen Hilfsstoffe der Önologie. Ich mache Naturweine nach meiner Definition, arbeite also ausschließlich mit Himmel und Erde«, meint sie, vergißt aber nicht zu erwähnen, daß sie von Esoterik nicht viel hält, sehr wohl aber alle Arbeiten in Weinberg und Keller auf Maria Thuns-Mondphasen-Kalender abstimmt.
Ihre Reben und Böden wirken sichtbar gesund und lebendig. 12 Mitarbeiter sind Tag für Tag draußen in den Reben und kümmern sich um deren Unterhalt. Biodynamischer Anbau ist enorm arbeitsintensiv und die biologische Diversität, die Valentina in und um ihre Reben herum geschaffen hat, läßt enormen Arbeitsaufwand erahnen. All das steht in merkwürdigem Gegensatz zu dem Schein und dem Protz ihres Weingutes, das so gar nicht zu der Frau passen will, die wir hier gerade in den Weinbergen erleben.
Im Keller schockiert uns dann Valentinas Purismus um so mehr. Der Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild könnte größer kaum sein: Das, was wir hier ins Glas bekommen, ist so radikal kompromißlos, so entwaffnend ehrlich und so anders als das, was wir vom äußeren Eindruck her erwarten würden, daß wir kaum glauben können, was wir hier gerade verkosten.
So treten Valentinas Rotweine unmodisch fein und fragil auf, unkommerziell im besten Sinne des Wortes. Sie wirken entwaffnend natürlich und so ungeplant, so ungewollt, so unmanipuliert, daß auch wir uns erst an sie gewöhnen müssen. Sie entsprechen so gar nicht den Erwartungen an süditalienischen Rotwein - und erfüllen sie für uns doch voll und ganz, wenn auch auf unerwartete Art und Weise. Diese Weine wirken auf uns alles andere als technisch oder manipuliert. Valentina legt Wert auf die Feststellung, daß sie ihre Trauben in der Extraktion weitgehend sich selbst überläßt. Sie greift nicht mechanisch ein, um ihre Weine konzentrierter zu machen. Mal beert sie ab, mal vergärt sie mit Stiel und Stängel, je nach Rebsorte, Reife und Schalendicke. Bei ihr gibt es keine Rezepte. Die Maische wird lediglich wie beim Aufguß von grünem Tee immer wieder überschwallt, um sie feucht und geschmeidig zu halten. Den Saft trennt sie von der Maische mittels einer alten Korbpresse. Sie schwefelt nur, wenn es ihr wirklich nötig erscheint, basta cosi. Natürlicher kann man Rotwein kaum produzieren.
Valentinas Weißweine strahlen in rarer Frische aus dem Glas. Ohne die kalte Pseudofrucht der Technik, die wir so gar nicht mögen, dafür saftig im Schmelz am Gaumen, pikant salzig am Zungenrand, sie ruhen in sich, wirken unaufgeregt und sind doch aufregend gut. Wir staunen und unser Entschluß, zusammenzuarbeiten, ist gefaßt. Als sie uns schließlich noch das frische Olivenöl des neuen Jahrgangs probieren läßt, daß sie aus der hochqualitativen Sorte Peranzana reinsortig gewinnt, sind wir dieser mutigen und selbstbewußten Frau und ihrer Vision endgültig erlegen.
Trotzdem: Nachdem wir uns verabschiedet haben, fragen wir uns, wie wir die intellektuelle Diskrepanz zwischen dem doch etwas merkwürdigen Palazzo und dem visionären Engagement dieser charismatischen Frau unseren Kunden erklären sollen. Als Winzerin hat sie uns in Weinberg und Keller auf geradezu radikale Weise überzeugt. Ob wir auch als Menschen zusammenkommen, wird die Zukunft zeigen. Grazie tanto, Valentina!
Posta Nova |
I-71011 Apricena (FG) |
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