Ein halbes Dutzend verschiedener Weine produziert die kleine Domaine im französischen Südwesten. Keiner davon fügt sich in ein Schema, keiner entspricht einem Stereotyp, jeder steht für sich, einzigartig, berückend, ebenso meisterhaft wie spielerisch, ebenso sinnlich wie intellektuell. Wie so etwas gelingt? Indem man alles in Frage stellt und alles neu denkt, wie es vielleicht nur Aus- und Seiteneinsteiger können, die ohne die Last der Traditionen und des Fachwissens, der Rezepte und Macht-man-so-Tipps ans Werk gehen. Françoise und Pierre sind solche, Ingenieure beide, Informatiker, Chemiker, Denker, Freigeister, an den besten Hochschulen des Landes ausgebildet.
Seit über 400 Jahren bewirtschaftet Familie Guirardel die von Kies und groben Sänden durchsetzten Lehmböden an den steilen Hängen des Jurançon, von wo aus der Blick weit über saftig-grüne Hügel bis zu den an klaren Tagen am Horizont aufragenden Pyrenäen schweift, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Die zum Teil durchaus repräsentative, zum Teil auf’s Notwendigste reduzierte Architektur der in ihren ältesten Teilen aus der Frühzeit des Gutes stammenden Wohn- und Wirtschaftsgebäude legen davon beredtes Zeugnis ab. Das Ende der Domaine schien mit der 14. Generation gekommen, denn Jean liebte zwar das Weinmachen, mochte sich jedoch den Erfordernissen eines immer schwieriger werdenden Marktes nicht beugen. Er verschenkte seine Weine lieber, als sie oder sich zu verbiegen.
Doch dann entscheiden im beinahe letzten Augenblick Tochter Françoise und ihr Mann Pierre ihrem Leben eine radikale Wendung zu geben. Sie verkaufen Haus und Besitz im schicken Grenoble und ziehen auf das verlassene Landgut. Sie bringen die Weinberge in Ordnung und renovieren in Eigenregie Weinkeller und Wohnhaus.
Zwei Rebsorten wachsen seit Jahrhunderten in der Region: Gros Manseng und Petit Manseng. Ihnen gilt sofort Pierres Liebe, sind sie doch optimal an die feuchten Böden und das regenreiche, milde Klima angepasst. Ohne zu zögern, stellt das Paar zunächst auf biologische, dann auf biodynamische Bewirtschaftung der Weinberge um. Die Maschinen dafür entwickelt und baut Pierre aus einfachsten Materialien selbst. Das Gros freilich erledigen sie in Handarbeit. Das Ergebnis sind Trauben, die perfekt reifen und zum Lesezeitpunkt ein ungewöhnlich ausgewogenes Verhältnis von Zucker, Säure und Aromen aufweisen. Und jetzt beginnt Pierres Abenteuer. Der Chemiker will en detail verstehen, was in seinen Tanks und Fässern passiert, wenn der Most gärt und der Wein reift. Die Hefen scheinen ihm der Schlüssel des Geheimnisses. Er studiert die unterschiedlichen Hefen in seinen Weinen, die Auswirkungen von Temperatur, Druck und Zeit auf ihre Entwicklung, den Einfluss von Sauerstoff auf ihre Aktivität, er selektiert sie, vermehrt sie in einem umgebauten Milchkühler, kurz, er ist mit ihnen gewissermaßen auf du und du. Mittlerweile gelingt es ihm, sie gezielt zu alkoholreduzierter Gärung einzusetzen, mit ihrer Hilfe feinsten Schaumwein zu erzeugen und aus Spätlesetrauben trockene Weine zu machen. Den Prüfern der Appellation ging all das freilich zu weit, sie erkannten den Weinen die „Typizität“ ab, und so verkaufen Françoise und Pierre einen Teil ihrer Weine heute unter dem Label „vin de France“, was jedoch die besten Restaurants Frankreichs nicht hindert, Guirardel auf ihre Karte zu setzen.
Domaine Guirardel |
Chemin Bartouille |
F-64360 Monein