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- 06.07.2018
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Es ist Ende Januar. Draußen steigen die Morgennebel auf. Wir sind sehr früh losgefahren, um die kurvenreiche Anfahrt über Wald- und Schotterpfade pünktlich absolvieren zu können. Jetzt sitzen wir mit Jasmine Hirsch, der jungen Chefin des Hauses, im Büro von Hirsch Vineyards, um den Jahrgang 2015 zu probieren. Ihr knapp 30 ha großes Weingut liegt einsam auf gut 500 m Höhe über Fort Ross in den Bergen der nordkalifornischen Sonoma Coast. Der Pazifik ist 4 km entfernt, an klaren Tagen sieht man ihn vom Weingut aus.
Jasmine ist eine energiegeladene Mitt-Dreißigerin. Ohne sie wäre kalifornischer Pinot Noir nicht das, was er heute ist. Sie war Initiatorin der Bewegung »In pursuit of Balance«, die 25 der besten Pinot-Winzer Kaliforniens vereinte und sich erfolgreich mit der Reduzierung des natürlichen Alkoholgehaltes durch entsprechende Arbeit im Weinberg beschäftigte. Jasmine bereist die Welt, um die Weine der Sonoma Coast bekannt zu machen und wurde so, neben Jim Clendenen von »Au Bon Climat«, zur Gallionsfigur des neuen amerikanischen Pinot Noir.
Auf dem Weg zum Weingut. Typische Szenerie der Sonoma Coast.
Es ist Jasmines Vater David Hirsch, der 1980 als visionärer Gründer der heute hoch gehandelten Appellation, die außerhalb der USA aber noch kaum Beachtung findet, auf 60 kleinen Parzellen, die rund um das Weingut verteilt liegen, zu einer Zeit Pinot Noir pflanzt, als man noch davon überzeugt ist, die Region wäre viel zu kühl für den Weinbau.
Bis 2001 widmet sich David Hirsch ausschließlich dem Weinbau. Seine Trauben verkauft er an einige der besten Weinmacher Kaliforniens, die daraus höchst begehrte Lagenweine keltern. Sie machen ihn, seine Lagen und die Sonoma Coast bekannt. Erst im Jahr 2002 beginnt David Hirsch eigene Weine unter eigenem Etikett abzufüllen.
Als Tochter Jasmine nach dem Studium in den Betrieb zurückkommt, beginnt sie, seine Weine über die einschlägigen Social Media-Kanäle zu vermarkten. Binnen weniger Jahre macht sie die Hirsch-Pinots zu begehrten Objekten. Als sie 2011 beginnt, den Betrieb auf biodynamische Bewirtschaftung umzustellen, setzt ein Stil- und Qualitätswandel ein, der ihre Weine signifikant dichter, kompakter und wertvoller macht. Heute werden nicht nur alle Reben, sondern auch die betriebseigenen Obst- und Gemüsegärten biodynamisch bewirtschaftet.
Hirschs Pinot Noirs stehen für die Sonoma Coast. Sie sind aufregend gut und so eigenständig, daß sie mit Burgund nicht verwechselt werden können. Wir wagen es deshalb zu prophezeien, daß die großen Pinot Noirs der Sonoma Coast die globalen Maßstäbe für die Rebsorte in neue Dimensionen verschieben werden . . .
Dieses Bild verdeutlicht eindrucksvoll die Probleme der Sonoma Coast: Hitze und Feuchtigkeit. Es hat lange gedauert, bis die Pioniere der Sonoma Coast ihren Weinbau den klimatischen und geographischen Herausforderungen vor Ort anzupassen verstanden.
Die Höhenlage hoch über dem Pazifik kann brutale Sonneneinstrahlung bedingen, die zu, siehe die Traube ganz oben im Bild, Dehydration führen kann, die dem fertigen Wein Bitterkeit verleiht, wenn diese Trauben nicht sorgfältig aussortiert werden. Dem Problem versucht man durch Pflanzungen in geeignetem Einstrahlwinkel, durch gekonnte Begrünung für die Wasserhaushaltsregulierung der Rebe und durch entsprechende Reberziehung und Bewirtschaftung beizukommen. Der Mangel an Tradition führt zu einem völlig neuen Denken und Handeln in Sachen Reb-Physiologie.
Die Nähe zum Pazifik bringt aber auch Feuchtigkeit in Form von Regen und häufigen Nebelschwaden. Um nicht synthetisch gegen Pilz- und Fäulnisbefall spritzen zu müssen, geht man die Herausforderung durch sorgfältig gewähltes genetisches Material, entsprechende Reberziehung, präzise angepaßte niedrige Pflanzungsdichte (damit die Reben gut durchlüftet sind) und eine gezielte Begrünung an, die die Reben mager hält, sie tief wurzeln läßt und so kleine Beeren mit dicken Schalen produziert.
Dies erklärt, warum die Pinot Noirs der Sonoma Coast je nach Herkunft und Lage eine charakteristisch intensive wie würzige Aromatik und eine je nach Klimaverlauf so dichte wie präsente Gerbstoffstruktur aufweisen, die in ihrer hochwertigen Andersartigkeit stets zunächst verblüffen. Es erklärt auch, warum die Jahrgangsunterschiede hier stilistisch besonders deutlich ausfallen.
Hirsch Vineyards ist ein Weingut ohne Wände. Sein Gärkeller besteht aus einer überdachten Plattform, auf der kleine oben offene Gärbehälter stehen. Als einzige Manipulation kommt eine Kühlung des Mostes infrage, wenn diese, trotz der kleinen Gärbehälter, nötig sein sollte. Nach der alkoholischen Gärung fallen die noch gärenden Moste per Schwerkraft in gebrauchte Barriques im darunterliegenden Reifekeller. Sie absolvieren dort die Milchsäuregärung und reifen, ohne Schönung oder Filtration, auf der Feinhefe bis zur Abfüllung. Schonender kann Weinbereitung kaum sein.
Low-Tech für faszinierend natürlich gute Pinot Noirs. Von wegen Amerika und High-Tech.
Auf Hirsch Vineyards werden Arbeit und Können in die Gesundheit und Qualität der Trauben gesteckt, so daß man im Keller puristisch einfach arbeiten kann, ohne viel »machen« zu müssen. Hier wird auf den wilden Hefen vergoren. Hier wird der Most nicht aufgezuckert, weil der gesamte Weinbau darauf abzielt, so wenig wie möglich Alkohol zu produzieren; Hirsch-Pinots haben nur zwischen 11,5 und maximal 13 natürliche Volumenprozent. Hier wird weder auf- noch entsäuert und der Most wird nicht gewässert, um die Gradation zu senken, was in Kalifornien erlaubt ist. Hier geht es im Keller so natürlich zu wie im Weinberg. Und weil ausschließlich kerngesunde Trauben verarbeitet werden, benötigen Hirsch Pinots nur minimalen Schwefelzusatz.
2015 war in Kalifornien ein Jahrgang der Extreme.
Seit 2005 hat es in Kalifornien einen solchen Jahrgang nicht gegeben. Die Trockenheit von drei aufeinanderfolgenden Jahrgängen sorgte für katastrophal niedrige Erträge. Jasmine Hirsch brachte im Durchschnitt nur 20 hl/ha in die Kelter, manche Parzellen lieferten ihr weniger als 10 hl/ha. Dafür aber jubelt sie über die Qualität des Jahrgangs: »… heart-breaking expressive with rare depth and intensity. It’s a sad truth that it is partly the result of the very low yields that year – so financially it is not a successful vintage! But the quality makes up for the heartbreak.«
Die dramatische Trockenheit, die Kalifornien in den letzten Jahren heimsuchte, erreichte im Jahrgang 2015 ihren Höhepunkt auch deshalb, weil der Winter 2014/2015 einer der trockensten und wärmsten der jungen Weingeschichte Kaliforniens war. Er verschärfte den Trockenstress, den die Reben in den letzten drei Jahren erlebten, sie begannen ihren Wachstumszyklus ungewöhnlich früh, trieben aus und blühten so früh wie noch nie. Dann kam ein sehr kühler und windiger Monat Mai, auf den die sichtlich geschwächten Reben mit drastischer Verrieselung und minimalem Fruchtansatz reagierten.
In ganz Kalifornien erwies sich der Traubenbesatz als dramatisch klein. Die Trauben waren winzig, in vielen Trauben hingen nur wenige Beeren und diese wollten nicht wachsen. Normalerweise wachsen die Trauben den Sommer über, in 2015 blieben die wenigen Trauben winzig klein und ihre Beerenschalen erwiesen sich als ungewöhnlich dick.
Bei Jasmine Hirsch fiel je nach Pflanzungsdichte, Trockenstress und Bodenbeschaffenheit jeder Weinberg, jede Parzelle, jede Lage in Ertrag, Beerenschalendicke und Saftausbeute unterschiedlich aus. Jasmine ließ einige ihrer Parzellen zweimal lesen, um so die sehr ungleichmäßige Reife einigermaßen ausgleichen zu können. So wurde 2015 zum teuersten Jahrgang der jungen Geschichte ihres Weingutes, mit weniger als der Hälfte eines normalen Ertrags. Dafür gehören die Weine zu den Großen eines denkwürdigen Jahrgangs in Kalifornien.
Weil die Mengen so klein ausfielen, wollte Jasmine die Weine ausschließlich über ihre Mailingliste verkaufen. Es gelang uns sie zu überzeugen, wenigstens ein paar Kisten nach Europa zu verschiffen. So sind die Weine dieses historischen Jahrgangs, der noch von Weinmacher Ross Cobb im Keller verantwortet wurde, der 2016 von Anthony Filiberti abgelöst wurde, um sich dem eigenen Weingut widmen zu können, nun doch bei uns erhältlich, in leider nur sehr limitierter Menge.
2015 Pinot Noir RESERVE Sonoma Coast (392 cases produced)
Die große Reserve des Weingutes enthält ausgewählte Fässer der expressivsten Lagen und besonderer Parzellen des Weingutes und will als Quintessenz in Stil und Charakter der Weine von Hirsch Vineyards verstanden sein.
Sie steht für die Eleganz, aber auch für die Kraft, die Hirsch Vineyard Pinots so anders macht als die meisten Pinots aus Burgund, denen es nur zu oft genau daran fehlt. Nur 12,1 Vol.% Alkohol zeichnen den ungewöhnlich dicht verwobenen Pinot Noir aus, der in Mundgefühl und Wirkung an große Jahrgänge der Domaine de la Romanee-Conti erinnert. Ein großes Wort gelassen hingeschrieben – und doch absolut zutreffend.
Den meisten Pinots neuer Generation aus Kalifornien geht jene tiefgründig kühle, fast blau wirkende Ader im Duft ab, die wenige große Pinots Burgunds so faszinierend prägt. Sie wirken opulenter und wärmer im Aroma, würziger und »röter« in der Tönung. Wer also die übliche burgundische Gewohnheit in ihnen sucht, wird zuverlässig enttäuscht. Sie fordern andere Kriterien, als nur die Erfüllung bekannter Klischees. Amerikas große neue Pinots sind selbstbewußt anders, haben sich von der Kopie des Klischees emanzipiert und können, was andere nicht können. Im Mund halten sie mühelos mit. Da entfaltet die große Hirsch-Reserve faszinierend komplexe Eugenol-Noten, die an Gewürznelke erinnern, enorm konzentriert in der Wirkung, überraschend kühl und feingewirkt im Mundgefühl, raffiniert verwoben in dichter, samtiger Packung, die erdig komplex und trocken daherkommt. Keine Spur störender Süße durch Reife oder gar Überreife, und das in einem Jahr wie 2015!
Enorm geschmeidig, seidig fließend, ungemein wohltuend im Mundgefühl, würzig und eben doch süß in der Wirkung seidig raffinierter Gerbstoffe. Großer Pinot Noir, der auch Bordeaux-Trinker nachhaltig zum Staunen bringt und Potential für Jahrzehnte beweist. Dürfte, das zeigt unsere Erfahrung mit diesen Weinen, im Lager- und Reifepotential durch die Nichtmanipulation im Keller und die teilweise Gärung auf Stiel und Stengel vielen Burgundern lässig überlegen sein.
2015 Pinot Noir RASCHEN RIDGE Sonoma Coast (368 cases produced)
Das Monster. Kein Pinot Noir des Jahrgangs 2015 kommt so konzentriert, so geballt dicht und kraftvoll daher, wie dieser. Der amerikanische Richebourg. Jasmine Hirschs zweite Ausgabe dieses Lagen-Pinots, den sie Henry Raschen widmet, einem Maler des amerikanischen Westens, der von 1854 bis 1937 auf jenem Fleck Erde lebte, der heute Hirsch Vineyards ist.
Der Wein stammt von der höchsten Lage des Weingutes, auf der das marine auf das kontinentale Klima trifft. Besonders lange Reifezeit am Stock, auch in 2015, besonders dickschalige Beeren und die niedrigsten Erträge liefern einen Pinot Noir dramatischer Gegensätze: Auf der einen Seite voluminös, eindrucksvoll und mächtig kraftvoll in der Dichte der Gerbstoffpackung, auf der anderen Seite geschmeidig sexy, fröhlich fließend und ausgesprochen trinkfreundlich. Hedonismus trifft auf seriösen Adel.
Ein eindrucksvoll strukturierter, warm duftender, aber kühl wirkender reifer Pinot Noir, dessen Reife aber nicht hohem Alkohol oder später Lese, sondern perfekter handwerklicher Verarbeitung und äußerst sensibler Extraktion durch Weinmacher Ross Cobb zu verdanken ist. 12,6 Vol.% natürlichen Alkohols lassen ihn schlanker wirken im Mundgefühl, als er ist, und sorgen für enorme Länge am Gaumen und zupackenden Griff am Zungenrand. Seine mächtige Gerbstoffpackung macht den besonderen Jahrgang spürbar, wirkt trotz aller Kraft und Muskeln aber elegant und spielerisch.
Sehr beeindruckender Wein, den man schon heute mit Lust genießt, den man aber weglegen sollte, um seine wahre Finesse und sein grandioses Spiel im Stadium der echten Trinkreife erleben zu können.
2015 Pinot Noir EAST RIDGE Sonoma Coast (392 cases produced)
Wirkt Raschen Ridge mächtig und eindrucksvoll in der Dimension, bezaubert East Ridge mit spektakulärer Länge und Frische am Gaumen. Da muß man in Burgund schon ganz hoch greifen, um ähnliches zu erleben.
Mit festem kühlen Griff greift dieser absolute Ausnahme-Pinot Noir nach der Zunge, salzt spürbar deren Ränder und gleitet dann dicht in feinsten Flanell-Gerbstoffen an den Gaumen, wo er in enormer Länge langsam verklingt.
Duftet Hirsch-typisch eher rötlich als blau, eher warm als kühl, ist aber durchdrungen von dunkler Würze und einer fast unnahbar kühlen Ader. Faszinierend. Kein Widerspruch in einem Wein, der von der steilsten Parzellen des Weingutes stammt, die stets von kühlen Pazifik-Nebeln eingehüllt wird und auf besonders mageren Böden steht. Hier notiert Jasmine Hirsch regelmäßig die niedrigsten Erträge des Jahrgangs, was sich in eindrucksvoll kompakter, fast schlank wirkender Gerbstoffdichte manifestiert, die in ihrer dunklen Würze nach Gewürznelken, Veilchen, Oliven, Zeder und Leder eher an hochkarätige Syrah denn an Pinot Noir erinnert. Ein druckvoll agierender, nach vorne stürmender, maskuliner Wein, der alles ist, nur kein Macho mit Goldkettchen im peinlichen Feinripp-Unterhemd. Hier agiert einer feiner, distinguierter Herr, der es versteht, raffinierte Kraftentfaltung in edles Tuch zu hüllen.
Trotz »nur« 11,9 Vol.% der haltbarste und eindrucksvollste aller Hirsch-Pinots. Auch und vor allem im großen Jahrgang 2015. Für all jene, die gerne kraftvolle Burgunder trinken, die an die Zeit vor 1959 erinnern, als Kaliphosphat noch nicht die Weine dünn und sauer machte, sondern Burgunder so schmeckten, wie die Weine von Bize Leroy noch heute sind, nämlich dicht und samtig im Mundgefühl, weich und kraftvoll auf der Zunge, raffiniert kühl und reduktiv fordernd in Duft und Tiefe. Großer Stoff für Stunden stiller Freude an großem Pinot Noir.