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- 11.03.2016
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Oben: So sahen die Trauben 2015 vor der Lese bei den Winzern aus, die ihren Beruf beherrschen.
Freunde, Mitstreiter, Kollegen: Ich will das, was einige unserer Kollegen zum Jahrgang 2015 in Deutschland bezüglich des drohenden »Jahrhundertjahrgangs« in die Tasten hämmern, nicht so stehen lassen und für bare Münze nehmen. Wir haben uns gefragt, ob da einige der Verkoster auf Drogen waren, so merkwürdig und zum Teil fast schon skurril scheinen einige Beurteilungen von Weinen auszufallen, die wir auch gerade erst probiert haben. Wer derart euphorische Urteile von sich gibt, muß das, was er da so oberflächlich geschmäcklerisch ins Netz stellt, in den kommenden Jahren unter Beweis stellen können. Das dürfte schwierig werden.
Und wer einen solch komplexen Jahrgang mit den üblichen Punktebewertungen erfassen zu können meint, tut so, als hätte er konkrete Kriterien dafür. Die würden wir gerne veröffentlicht und formuliert sehen, um sie nachvollziehen zu können. Mit »Gänsehautwein« und inflationären Superlativen und Euphemismen zu diesem Jahrgang können wir als Profis so wenig anfangen, wie unsere Kunden und viele andere Weinfreunde auch. Ihr Informationsgehalt geht gegen Null. In einem Jahrgang wie 2015 sollte es um Kriterien und Informationen gehen, die über das »heute schnell verkauft« hinausgehen und auch morgen noch Bestand haben sollten.
So sahen die Trauben bei vielen Winzern aus, die ihren Weinberg nicht so im Griff hatten, wie sie ihn hätten haben sollen.
Es ist unbestritten, daß der Jahrgang in den verschiedenen deutschen Weinbauregionen extrem unterschiedlich ausfällt. Im Folgenden soll es um die Weißweine des Jahrgangs gehen. Die Rotweine scheinen in deutschen Landen teilweise erstaunlich gut, bei manchen Winzern außergewöhnlich und groß auszufallen. Mehr wird man sagen können, wenn die Weine auf Flasche sind.
In Sachen Weißwein fällt uns auf, daß es in (fast) jedem Betrieb, den wir bisher verkostet haben, offenkundige Unterschiede in Stil und Qualität gibt, die auf den Lesezeitpunkt, und damit auf den Gesundheits- und Reifezustand der Trauben, zurückzuführen sind. In manchen Regionen war das Fenster für den richtigen Lesezeitpunkt von Gemeinde zu Gemeinde dramatisch klein, es mußte binnen weniger Tage gelesen werden, was große Betriebe vor enorme Herausforderungen stellte, die sich heute mühelos schmecken lassen, weil das Zeitfester noch kleiner war als in den Jahren zuvor; in anderen Regionen konnten sich die Winzer bis zu vier Wochen Zeit lassen. Der Klimawandel in Aktion, und das in 2015 so radikal wie selten zuvor.
Richard Östreicher aus Sommerach in Franken bei der Lese kerngesunder Trauben für Rotweine herausragender Qualität.
Während der Jahrgang 2013 vom Jungweinstadium bis heute so uniform schmeckt, daß man in ihm weder Regionen, noch Stile, noch Produzenten identifizieren kann, was jede Jahrgangsvergleichsprobe eindrucksvoll unter Beweis stellt, entlarvt der Jahrgang 2015 in jedem Wein dessen Boden und Wasserhaltevermögen, und damit auch dessen Bewirtschaftung in Sachen Wasserhaushalt, radikal und unmittelbar. Was den Jahrgang 2015 für uns so faszinierend und besonders macht, ist die Tatsache, daß er die Herkunft der Weine schmeck- und im Mund fühlbar macht. Jede Lage scheint anders, jede Region scheint ihren ganz spezifischen Stempel zu tragen, jeder Winzer unterscheidet sich in seiner Antwort auf den Jahrgang, und so macht 2015 die Arbeit im Weinberg drastisch nachvollziehbar und als Qualitätsmerkmal erkenntlich. Wie Zwiebelschalen entfalten die Weine ihre Qualitätsmerkmale in der Vergleichsprobe. Das haben wir so noch nie erlebt hierzulande. Der Jahrgang schreit also förmlich nach Vergleichsproben über das gesamte Portfolio eines Betriebes hinweg, weil er das Reifespektrum, den Lesezeitpunkt und alle anderen wesentlichen Qualitätskriterien unmittelbar nachvollziehbar und erlebbar macht.
In keinem der letzten Jahrgänge sind die Reifeunterschiede der Trauben, der Einfluß der Versorgung der Trauben mit Nährstoffen, die Qualität der Boden und deren Bewirtschaftung, so unmittelbar nachvollziehbar und drastisch schmeckbar wie in 2015. Das macht den Jahrgang für den Verkostet nicht nur besonders spannend, sondern tatsächlich auch relativ einfach beurteilbar. Es gibt harte grüne, aus Panik vor der teilweise rapiden Reifeentwicklung in den Trauben zu früh gelesene Weine, es gibt gelbfruchtige, alkoholbeladene, also zu spät gelesene Weine, es gibt zahlreiche Weine, auch in renommierten Betrieben, die geprägt sind von den charakteristisch bitteren Trockenschäden des Jahrgangs, die schon bald ein Opfer von UTA zu werden drohen (wie 2011, was bis heute kaum jemand wahrhaben will, dazu später mehr), und es gibt natürlich souveräne, in sich ruhende, richtig große Weine, die den Ruf des Jahrgangs begründen mögen, aber die Ausnahme und nicht die Regel in diesem alles andere als problemlosen Jahrgang sind. Wir mahnen deshalb konkrete und informative Differenzierung in seiner Beurteilung im Kunden- und Trinkerinteresse an.
Gegen den Jahrhundertjahrgang spricht alleine schon die Tatsache, daß es in den meisten Betrieben, auch renommiertesten, kaum ein über das gesamte Portfolio einheitliches Stil- und Qualitätsniveau gibt. Tatsächlich hat fast jeder Betrieb grüne und gelbe Weine im Portfolio, aus zu früh oder zu spät gelesene Partien.
Wenn wir schon bei Pauschalisierungen sind: Der Norden der Weinbaurepublik scheint außen vor. Mosel und Rheingau scheinen den Jahrgang wie unter dem Brennglas herauskristallisieren zu können, während der Süden mehr unter den negativen Seiten des Jahrgangs, schmeckbaren Trockenschäden, zu leiden scheint. In bestimmten Regionen, ich nenne (noch) keine Namen, scheint die UTA-Gefahr immens. Es hat letztes Jahr in Anbetracht der historischen Trockenheit besonders viele profunde wissenschaftliche Untersuchungen in den Weinbergen gegeben, die das Potential für Trockenschäden im Wein belegen. Die Zukunft wird zeigen, wie die Weine dieses Streßpotential auf der Flasche verdauen.
Richard Östreichers Rotweinmaische 2015. Bei ihm läßt der Jahrgang Großes erwarten.
Es stimmt: Die guten Weine des Jahrgangs schmecken derzeit bereits verdammt »lecker«. Aber es gibt viel zu viele, die nur sauer und grün oder viel zu gelbfruchtig und alkoholisch schmecken, um die »Spitze« zu sein, die so vordergründig proklamiert wird. Ein Fehler, der schon einmal gemacht wurde von unserer Branche und bis heute nie revidiert wurde: 2011. Ein Jahrgang, vor dem ich damals warnte. Sein Mangel an Extrakt, an Reife und seine relativ magere Struktur in damals durchaus vordergründig leckeren und zugänglichen Weinen machen nach dem Frost mit zu langer Trockenheit in einer wichtigen Phase der Traubenentwicklung meine Warnung von damals zu heute trauriger Realität. Viele 2011er Weine haben sich ungewöhnlich schnell entwickelt, machen keinen Spaß mehr, wirken bereits erstaunlich alt und merklich gestreßt, viele zeigen UTA-Anklänge oder Müdigkeit, wirken spannungslos, weil sie von der bis heute kaum kommunizierten Trockenheit des Jahrgangs während der Zellteilungsphase geprägt und gequält sind. Das wird tunlichst verschwiegen, der Kunde soll nicht verunsichert werden. Dabei sind die Phänomene interessant und man konnte daraus wichtige Erkenntnisse ziehen. Vermutlich wissen die meisten derer, die stets so vorschnell jubeln, bis heute von der (wissenschaftlich bestätigten) Problematik des Jahrgangs 2011 nichts. Es ist anzunehmen. Wir können jedenfalls nur raten, die Weine des Jahrgangs 2011 zu trinken so lange sie noch schmecken, also bevor sie in naher Zukunft endgültig das Zeitliche segnen.
Wir sollten aus der Problematik des Jahrgangs 2011 für 2015 so lernen, wie wir aus der Hitze von 2003 und den letzten, zum Teil sehr fordernden Jahrgängen für die Physiologie der Rebe und den Anbau gelernt haben. 2015 wird mit 2003 so wenig vergleichbar sein, wie 2011 und 2015 nicht direkt vergleichbar sind, weil die Phase der Trockenheit unterschiedliche Phasen der Traubenreife betrifft. Aber daß 2015 eine sehr spezielle Chemie besitzt, die auch zu einem sehr speziellen Reifeverhalten von frühester Jugend an führte, ist, so glaube ich, auch unter Winzern unbestritten. Wer oberflächlich verkostet, dem fällt auf, daß viele Weine des Jahrgangs 2015 fast schon prächtig im Mundgefühl wirken, ungewöhnlich zugänglich und verführerisch reif schmecken. Die Chemie und Physik des Jahrgangs war aber zu komplex, zu heterogen, um ihn deshalb schon heute pauschal in den Himmel jubeln zu können. Die Äpfelsäure wurde weitgehend durch die Trockenheit veratmet, die Weinsäure prägt mit meist niedrigem pH das Mundgefühl (und damit potentiell natürlich auch Entwicklung und Haltbarkeit), die Gesamtsäuren bewegen sich auf normalem Niveau oder darunter. Uns fiel auf, daß der Jahrgang praktisch keine Jugendphase zeigte. Er schien sich vom Moststadium direkt in wohlriechenden Wein zu verwandeln. Die ansonsten so typische Gäraromenphase mit reduktiven, unfertigen Aromen, schien er übersprungen zu haben. Seine Entwicklung ging schon im Faß ungewöhnlich schnell voran, was vielleicht erklärt, warum die guten Weine des Jahrgangs heute geradezu verführerisch gut, fast schon trinkreif, schmecken. Daraus aber in aller Jugend schon den Jahrhundertjahrgang abzuleiten, scheint uns nicht nur naiv, sondern grob fahrlässig und beweist verkosterische Inkompetenz. Die nächsten Wochen und Monate erst werden Gewissheit bringen, ob wir 2015 auf der sicheren Seite sind, oder ob ihn schnelle Reife und Entwicklung zu einem schnell zu konsumierenden Jahrgang machen werden, der dann das Gerede um den Jahrhundertjahrgang im Gang der Dinge verpuffen lassen wird.
2015 zerstörte Hagel binnen Sekunden z. B. die Weinberge von Dieter Herist im Südburgenland, doch auch viele andere Regionen in ganz Europa sind zusehends von Hagelattacken, wie man sie bisher kaum kannte, betroffen.
Ich mag dieses Mal falsch liegen. Ich glaube aber, daß die spezielle Chemie des Jahrgangs ihn nachhaltig prägen wird. Entsprechende Messungen wiesen Trockenstress vor allem in den südlichen Regionen Deutschlands nach, der Probleme auf der Flasche verursachen kann und wird. Sie sind in (leider) vielen Weinen bereits heute zu erahnen in Form charakteristischer Bitterkeit am Gaumen und, in besonders schlimmen Fällen, auch schon im Duft. Die UTA-Problematik des Jahrgangs ist in den südlichen Regionen Deutschlands nicht hinwegzuleugnen. »Es gibt mehr schlechte Winzer als schlechte Jahrgänge« läßt sich deshalb auf kaum einen Jahrgang der letzten Jahre so anwenden, wie auf 2015. Vermutlich dürften wieder die ambitionierten Biowinzer die besseren Weine präsentieren im Vergleich mit ihren konventionell arbeitenden Kollegen (von den engagierten konventionellen Betrieben, die ihr Handwerk auch ohne Bioweinbau beherrschen, abgesehen), weil sie durch Bodenbearbeitung und Verzicht auf bodenverdichtende Agrarchemie die bessere Antworten auf die Trockenheit und die vielfältigen Herausforderungen des Jahrgangs hatten. Ob sich 2015 im Vergleich mit dem wie oben beschrieben problematischen Jahrgang 2011 wie dieser oder ähnlich diesem entwickeln wird, muß und wird die Zukunft zeigen. Daß sich 2015 von Region zu Region, von Gemeinde zu Gemeinde, von Lage zu Lage, und natürlich auch von Winzer zu Winzer, sehr unterschiedlich darstellt, ist Stand der Kenntnis. Die Problematik der Streßsituation der Reben auch. Aus dieser Gemengelage mit der Ungewissheit der Entwicklung der Weine durch die spezielle Klimatologie und Nährstoffversorgung der Reben schon heute im Brustton der Überzeugung einen Jahrhundertjahrgang zu proklamieren, und das ohne Angabe konkreter Kriterien, dafür auf der Basis sentimental geschmäcklerischer Urteile, die niemand nachvollziehen kann, scheint mir so verwegen wie inkompetent, wenn es nicht sogar Vorspiegelung falscher Tatsachen ist.
© Martin Kössler für K&U